Donnerstag, 20. Dezember 2012

Gastfreundliches Kolumbien


Medellin - Guatapé - Rio Claro - Bogotà - Laguna Guatavita - 
Tunja - Villa de Leyva - Medellin


Nach über einem Jahr herumvagabundieren erfreuen wir uns jetzt der Sesshaftigkeit: In einem richtigen Bett schlafen, beliebig oft duschen, einen grossen Kleiderkasten haben: In der Familie unseres ehemaligen Austauschschülers Santiago ist der Gast König und dementsprechend werden wir nach Strich und Faden verwöhnt. Aber wir sind ja nicht in Medellin, um uns auffuttern und bedienen zu lassen.
Fast wie im Tisliacher...
Wir nutzen die Gelegenheit, Medellin kennenzulernen. Die Stadt hat viele Gesichter; die amerikanisch angehauchte Oberschicht scheint sich vor allem in den Einkaufszentren aufzuhalten. Diese sind riesig, modern, sauber, elegant und schüren die Kauflust. Von diesem Teil Medellins hat Lukas schnell einmal genug und beschliesst, dass er diese Trips den Frauen überlässt. Dabei hat es dort doch so viele herausgeputzte Weiblein!
                                                     
Das Zentrum Medellins ist durchaus mit einem Ameisenhaufen zu vergleichen. Jeder der aberhunderten von Strassenverkäufern schreit: „Barato barato barato!“, „Lulo, Lulo, Lulo!!“ (Saft der Lulofrucht), „Helados, helados!!“; und nicht einmal die vielen Megaphone scheinen irgend jemanden zu stören. Mit den angebotenen Turnschuhen, T-Shirts, Socken und vor allem Handys könnten die Medelliner vermutlich problemlos zwei Jahre versorgt werden.

Die Skulpturen von Botero sind immer wieder faszinierend
Jeder versucht zu verkaufen

Im Gewusel der Menschenmenge fallen die Skulpturen von Botero trotz ihrer üppigen Fülle gar nicht mehr gross auf. Die Kolumbianerinnen wollen aber scheinbar den Kurven an Boteros Skulpturen nicht nachstehen: Die beachtlichen Busen werden fast auf Ohrenhöhe präsentiert, die T-Shirts sitzen extrem knapp, die Pos sind aufgespritzt – und wer’s nicht vermag, kauft sich push-up-Unterwäsche. Die reiferen Frauen zwängen sich in Korsetts, damit die Würste etwas verteilt werden...
Nach zwei Stunden scheren wir aus dem Gewusel aus und freuen uns über einen relativ ruhigen Platz. Dutzende von Lichtsäulen streben neben der modernen Bibliothek gegen den Himmel und wetteifern mit den Hochhäusern.  In der öffentlichen Bibliothek liegen auch Bildbände, Zeitungen und Zeitschriften auf. Und der riesige PC-Pool wird stark frequentiert.

Moderne Bibliothek
Auch im  Explora-Park – eine Arte Technorama - staunen wir, was die Stadt ihren Einwohnern bietet. Viele Plätze sind kindergerecht und grosszügig gestaltet. 



Längs durch die Stadt führt die Metro auf Stelzen. Ein Billett kostet nur 70 Rp. Über zwei arme, problematischere Quartiere fahren zur Metro gehörende Seilbahnen. Durch die Ansiedlung von guten Angeboten wie Bibliotheken oder Naturparks in diesen Quartieren will die Stadtregierung die Verslumung vermindern, die Quartiere freundlicher, zugänglicher und sicherer gestalten. Die Armut ist aber weiterhin offensichtlich; der Unterschied zwischen arm und reich krass.
Die Fahrt mit der Metrocable ermöglicht einen Überblick von Medellin
Der Rio Medellin wird jedes Jahr mit wechselndem Thema weihnachtlich dekoriert. Im heurigen Thema Urwald zieren nicht nur Tausende von Lichtern und Figuren in schrillen Farben beide Flussufer; auch der Fluss selbst ist mit einem Lichtermeer, welches das Grün der Wälder darstellt, überzogen. Nach Einbruch der Dunkelheit ist das Schlendern dem Fluss entlang eine wahre Freude. Ein Essensstand reiht sich an den nächsten – auch hier schreit jeder, was er zu verkaufen hat, als ob alle Passanten blind und hörbehindert wären. Strassengaukler treten auf, handgelismete Chilbibahnen blinken, Eltern freuen sich über die leuchtenden Augen ihrer Kleinkinder. Im Wasserpark versuchen alle, trocken unter die Wasserhaube zu kommen. Lukas gelingt es  beinahe.

Lukas hat's geschafft, beinahe trocken unter die Wasserglocke zu springen

Magenbrot, gebrannte Mandeln oder Biberfladen suchen wir vergebens. Dafür werden Würste in allen Variationen, Hotdogs mit viiiiel Sauce und Spiessli angeboten.

Weihnachtsbeleuchtung in Medellin
Das Allerbeste erleben wir sonntags: Über 30 km der Hauptachse durch Medellin ist zugunsten von Sport für jeglichen Motorfahrzeugverkehr gesperrt. Mit Hochgenuss sind wir vom wohlhabenden Süden durch das Stadtzentrum bis ans ärmere Nordende der Stadt geradelt, ohne gegen die aggressiven Busse und Töffs ankämpfen zu müssen.


Sonntäglicher Veloausflug durch Medellin
Über 60jährige müssen spätestens nach 14monatiger Reisezeit Bobolis behandeln lassen: Lukas lässt sich den Schnappdaumen operieren; ich lasse mein Arthrose-Knie mit Kortison fluten. Jetzt sind wir geflickt: Lukas kann wieder abtrocknen und ich wandern.

Das Bobo ist inzwischen geheilt
Die Führung durch Josés Chrysanthemen-Farm – er beschäftigt 550 Mitarbeiter/innen - ist beeindruckend. Die Blumen werden fast ausschliesslich in die USA exportiert – zum Teil mit Spray eingefärbt! Hochbetrieb herrscht in der Vorweihnachtszeit und vor dem Valentinstag. Täglich verlassen einige Lastwagenladungen voll von mit Blumen gefüllten Schachteln den Betrieb. In den USA können diese noch bis zu 3 Wochen im Kühlhaus lagern, bevor sie dem Endkunden als frische Blumen verkauft werden.

Crysanthemen so weit das Auge reicht
Überall erleben wir eine herzliche und grosszügige Gastfreundschaft. So sind  wir bei Nelly und Arnulfo für ein verlängertes Wochenende in ihre Finca eingeladen. Zuerst flitzen wir auf dem hauseigenen Boot lange über den riesigen, weit verzweigten Stausee. Die neue Allee führt durch Blumen und Feigen auf den Hügel und verspricht viel. Die extrem grosszügige Anlage mit vielen verschiedenen Terrassen ist ein wahrhaft traumhafter Ort. Das während der Woche leerstehende Anwesen wird von drei vollzeitlich Angestellten in Schuss gehalten, am Wochenende kommen noch ein paar mehr dazu. Wir geniessen den Ort und das Zusammensein mit den Kolumbianern in vollen Zügen. Im Freien wird auf dem Holzherd währschaft und typisch gekocht, gebraten, es wird gelacht, gebadet, getrunken. Der von mir gebackene Zopf hat zwar etwas viel Hitze abgekriegt, ist aber trotzdem gut gelungen.


Zuoberst thront die Finca Villa Sofia

Nelly ist eine herzliche, grosszügige und tolle Gastgeberin
Nach beinahe drei Wochen in Medellin reisen wir weiter Richtung Bogotá. Die knapp 700 Stufen auf den Peñol, einem riesigen Monoliten, verschaffen uns einen Überblick über die Stauseenlandschaft. Wir könnten uns auch in Finnland befinden!


Hoch hinaufsteigen
und dann die Aussicht geniessen
Mitten in Bogotá können wir nur einen Steinwurf entfernt vom Goldmuseum und der weihnachtlich geschmückten Fussgängerzone auf einem Parkplatz nächtigen. Das musste verdient sein: Der brutale Verkehr Bogotás fordert für 25 km drei Stunden und Lukas’ Nerven.
Das Goldmuseum wird seinem Ruf, eines der besten Museen der Welt zu sein, gerecht. Ich bin beeindruckt, wie das Gold bereits lange vor Christus be- und verarbeitet wurde, wie und wozu es benutzt wurde.


Geflickte Goldarbeit
Vor vielen hundert Jahren hergestellt - aus purem Gold
Der Besuch des Monserrate, einer Pilgerkirche hoch über Bogotá thronend und per Luftseilbahn erreichbar, ermöglicht uns einen Überblick über das Ausmass (und der Abgas-Glocke) der 9 Millionenstadt.


Weihnachtspark in Bogota

Nördlich von Bogotá liegen die von den Spaniern einst stark besiedelten Gebiete. Zum Beispiel Tunja oder Villa de Leyva erinnern an Andalusien, die Umgebung an Frankreich. Die Städtchen sind hervorragend herausgeputzt. Die groben Pflastersteingassen versetzen uns zusätzlich um Jahrhunderte zurück.
So ganz beiläufig erfahren wir bei einer Strassenzollstelle, dass die Strecke nach Medellin (180 km über schmale, kurvenreiche und massiv LKW-belastete Strasse) ab Mitternacht wegen Brückenbau für 3 Tage gesperrt sein wird. Ja, wir sind nicht in der (über-) organisierten Schweiz! Es ist abends 17 Uhr, also in einer Stunde  stockdunkel. Sollen wir anderntags den 300 km langen Umweg wählen oder nachts noch bis zur Baustelle fahren? Niemand kann uns sagen, wo genau sich diese befindet. Bei der nächsten Zollstelle erfahren wir, dass die Baustelle noch 40 Minuten entfernt liegt. Aber wenn eine Kolonne Lastwagen vor uns herkeucht und diese häufig warten müssen, um kreuzende 40- und 52-Tönner-Kollegen passieren zu lassen, können 40 Minuten schon gegen zwei Stunden dauern. Wir warten immer noch auf die Baustelle; bis endlich der nächste Polizeiposten - inzwischen ist es 20 Uhr – Entwarnung gibt: die Baustelle liege hinter uns. Also im Dunkeln, ohne Arbeiter, ohne sichtbare Maschinen...? Wie wollen die um Mitternacht mit der Arbeit beginnen? Wir schlafen wohlbehütet neben einem Rudel Polizisten und stellen fest, dass die ganze Nacht munter gefahren wird.
Nun sind wir wieder in Medellin, wo wir die Weihnachtstage mit unserer Gastfamilie verbringen dürfen. Vorher backen wir noch Mäiländerli, Chräbeli und Zopf und geniessen stressfreie Vorweihnachtstage, in T-Shirt und kurzen Hosen. Und gegen allfälliges Heimweh gibt’s im Supermarkt schöne rote süsse  teure Lindor-Kugeln.

Mit lieben Grüssen und guten Wünschen für die Festtage und das kommende Jahr!

Brigitte und Lukas


Fröhliche Weihnachten!









Montag, 26. November 2012

Überraschendes Kolumbien

San Agostin - Armero - Manizales - Salento - Sta Rosa - Medellin

Nur der südlichste Teil Kolumbiens ist 
auf der Südhalbkugel, der nördlichste Teil
ist aber nur 12° Nord - also schwer in
den Tropen!
Drei parallele Kordilleren, eine Pazifikküste, 
eine grosse Karibikküste und ein gewaltiges, 
fast unbewohntes Amazonasgebiet (Regenwald):
das ist Kolumbien

Von allen Wissenschaftlern können die Archäologen ihre Arbeit am besten „verkaufen“ und zudem fahren Brigitte und ich ja extrem auf altes Zeugs ab: Also reservieren wir uns in San Agustin nochmals einen ganzen Tag, um eine weitere Serie der rätselhaften Steinmannli zu besichtigen.


Ich zweifle jetzt aber, ob die Archäologen den hier gelandeten Marsmenschen nicht auf den Leim gekrochen sind und somit nicht erkannten, dass diese Skulpturen nichts anderes als für uns hinterlassene Andenken dieser Ausserirdischen sind.

10 km vor dem Besucherzentrum in der vom Reisebuch hochgelobten Tatacoawüste hat es noch immer grüne Wiesen, grosse gesunde Laubbäume. Wann kommt endlich die extreme Klimascheide?
Nie. Um das Besucherzentrum – ein Haus mit einigen Postern und einem Teleskop – grasen weiterhin Kühe, sie leiden allerdings nicht an Übergewicht.



Das Gelände, die Hügel sind sicher bemerkenswert geformt, aber die Hinweistafel bestätigt es: Mit gleichviel Niederschlag wie Fehraltorf (Verteilung übers Jahr hin oder her) ist der Ausdruck „Wüste“ nicht ideal gewählt. Zudem regnete es während der vergangenen Nacht, der spezielle Schlamm verwandelt das Profil unserer guten Pneus in eine wursthautähnliche Oberfäche. Aber nach einer Stunde hatten wir unser Fahrzeug trotzdem wieder auf der Piste...








Während des Einnachtens verbringen wir eine weitere Stunde mit dem Einsaugen von Mückenschwärmen in unseren leistungsfähigen Autostaubsauger. Kurz nach dem Eingestehen unserer Kriegsniederlage übernimmt ein erneuter vielstündiger heftiger Regen den Kampf gegen diese Viecher. Typisch Wüste.


Armero hatte vor 27 Jahren 23 000 Einwohner, heute besteht dieser Ort aus einem jungen Wald, durchsetzt mit halbversunkenen zerstörten Häusern und unzähligen Grabsteinen. Der Vulkan Nevado del Ruiz beziehungsweise dessen Schlamm- und Gerölllawine demonstrierte zum zweiten Mal, dass Vulkane keine lange Aufwachzeit brauchen.


Der Weg nach unserer 80 km entfernten angepeilten Stadt führt nahe an diesem Vulkan vorbei, ist aber auf der Landkarte nur noch gestrichelt gezeichnet. Die nicht einladende Alternative wäre eine vielstundenlange Asphalt-Strassenfahrt (mit vermutlich einigen Nahtod-Erlebnissen in Kurven und auf Kuppen). Um kein Risiko einzugehen, erkundigt sich Brigitte auf der Polizeistation bei vier Männern in Kampfmontur nach allfälligen Gefahren. Sie wird beruhigt: Der Vulkan sei kaum aktiv, Guerillas seien nicht zu befürchten und die Piste sei recht, aber nicht allzu gut. Nach der letzten gar nicht so garstigen Piste mit der Auskunft „streckenweise miserabel“ erwarten wir also eine ungeteerte, aber rechte Strasse. Nach 45 km im ersten Gang mit bachbettartigen Abschnitten, mit vom Regen tief ausgewaschenen Gräben, mit abgesackten Pistenrändern, nach Schwefel riechenden Bächen und mit Schwefelgeruch durchsetzter Luft, einem den Vulkan beobachtenden und allfällige Wanderer zurückweisenden Refugiowart (Vulkangipfel wegen Semiaktivität gesperrt) sowie einer Horde bewaffneter Militärpersonen wissen wir, das Auskünfte hier besonders stark von der befragten Person gefärbt sind. Aber das Erlebnis möchten wir keinesfalls missen! Die Vegetation war umwerfend, die Pistenränder zauberhaft überwachsen, die Vulkan-Bergwelt äusserst beeindruckend.
       Filmli

So ist der Blick aus dem Autofenster auf 4000 m!























Salento ist ein an Wochenenden von kolumbianischen Touristen gern besuchter kleiner Ort. Zwei Sachen bleiben uns in bester Erinnerung: Zum einen der Besuch einer Kaffeefarm, wo uns 1 : 1 alle Zwischen­stufen von der Staude bis zum dampfenden Tassli gezeigt wurden (PS: Ich bin lieber Leh­rer als Kaf­feefarmer).






Zum andern ein absolut herrlicher Ausritt. Nur zusammen mit dem jungen Pferdevermieter konnte ich während vier Stunden durch üppigste Natur gehen/traben/galoppieren. Ich nehme an, in der Schweiz dürfte ich als Reitschüler frühestens nach einem Jahr (und vielen hun­dert Franken) Reitunterricht diesen Weg auf einem Ross gehen. Wie genoss ich es, auf dem Pferd durch einen Bach zu waten, wie ein Wildwestfilm-Protagonist die Augen zusammengekniffen und in die Weite schauend, oder durch lichten Wald zu galoppieren, die Äste nur mit lässigem Kopfsenken abwehrend.




Das Pferd und ich verstanden uns prächtig. Bei „feines Rössli“ setzte es sich in Trab oder Galopp, bei „he Du Scheissgaul“ blieb es augenblicklich stehen. Und wenn der Weg extrem felsig und steil wurde, schloss ich die Augen, senkte den Kopf und übergab alle Verantwortung dem Pferd.










Und nebenbei: Hätte das Rössli am Folgetag auch solchen Muskelkater wie ich gehabt, wäre das ein klarer Fall für den Tierschutzverein!





Wie gefährlich ist es in Kolumbien?

Es ist verständlich, dass die Leute nach unzähligen Regierungs­wechseln mit Schreckensherrschaften und nach 50 brutalen Guerillajahren ein fundamentales Be­dürfnis nach Sicherheit haben, dass Ihr Vertrauen in Ruhe, Ordnung und Ehrlichkeit überhaupt nicht mit unseren Gewohnheiten vergleichbar ist. Gibt es uns ein Gefühl der Sicherheit oder Unsicher­heit, wenn an einer stark befahrenen Strasse jede Brücke von mehreren massiv bewaffneten Solda­ten bewacht wird? Zurzeit ist es von Seiten der Guerillas ruhig, wahrscheinlich auch deshalb, weil gerade jetzt in Kuba Einigungsgespräche zwischen der Farc und der Regierung stattfinden.
Einige Sicherheitsvorkehrungen beruhigen uns, andere finden wir schlichtweg lächerlich. Mache selbst eine Einteilung!:
  • Praktisch jeder Parkplatz, privat oder öffentlich, ist bewacht
  • Ausnahmslos vor jeder Bank stehen mindestens zwei Wachpersonen, Gewehr im Anschlag
  • Vor vielen Geschäften, die mehr verkaufen als Kaugummi und Bananen, stehen private Wachperso­nen. Meist bewaffnet.
  • Stark befahrene Strassen sind mit viel Militärposten bestückt
  • Vor der Einfahrt in ein Parkhaus wird die Autounterseite mit einem Spiegel kontrolliert
  • Beim Verlassen eines grösseren Geschäftes (z. B. „Migros“) muss der Kassenbon vorgezeigt und abgestempelt werden
  • Der rostige Getränkekühlkasten an einer Tankstelle ist angekettet
  • Auch kleine Glacé-Kühltruhen sind abgeschlossen, obwohl sie direkt neben der Kasse stehen
  • Wir übernachteten bei einer Tankstelle. Ich beobachtete, dass der Tankwart nachts auch während des Benzin-Ausschenkens sein Gewehr nicht aus der Hand legt.
  • Ein Autofahrer schliesst ab, auch wenn eine Scheibe fehlt oder die Türe kaum mehr durch die rostigen Scharniere gehalten wird
  • Fast alle Autos sind mit einer Alarmanlage ausgestattet, also zwitschert und jault immer ir­gendwo ein Alarm
Regional sind deutliche Unterschiede festzustellen. Seltsamerweise ist in grossen Städten wie jetzt in Medellin das Wach­personal bedeutend weniger allgegenwärtig wie in kleineren.
Aber: Noch nicht einmal hatten Brigitte und ich berechtigterweise ein ungutes oder gar unsicheres Gefühl oder wur­den gar bedroht. Und wenn wir einmal in eine Polizeikontrolle gerieten (meistens wird unsere Ambulanz durchgewunken, denn es gibt keinen Unterschied zwischen dem weissen und dem roten Kreuz, oder?), wurden wir freundlich, korrekt und genau kontrolliert.

Sicherheitsgurten sind in
Kolumbien obligatorisch...




Ganz klar ist für uns das gefährlichste in Kolumbien der Strassenverkehr.






Hat ihm niemand gesagt, dass Überholen
in Kurven gefährlich sein kann?

 Jetzt sind wir in Medellin bei Santis Familie. Das Leben in dieser pulsierenden Stadt wird das Thema unseres nächsten Blogs sein.

Wir wünschen Euch allen eine schöne Vorweihnachtszeit und grüssen Euch herzlich

Lukas und Brigitte

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Montag, 12. November 2012

Adios Ecuador, viva Colombia


Otavalo – Laguna Cuicocha – Nationalpark El Angel – Tulcán – Ipiales – Pasto – Po­payan – San Agustin






















Nach einigen erholsamen Tagen in Otavalo freuen wir uns wieder auf mehr Natur, auf Wandern und Berge. Dafür genau richtig ist für uns die Laguna Cuicocha mit den beiden Inseln in der Mitte, bewacht vom Vulkan Cotocachi. Die 14 km lange Krater­rand-Wanderung bietet nicht nur steile (und zwar ecuador-steile) Auf- und Abstiege, auch Orchideen und viele andere Blumen säumen den Weg. Das abendliche Bier ist wohl verdient. Den müden Knochen gönnen wir gern eine Erholung in einem nahe gelegenen Thermalbad.

Auf dem Kraterrand geht's stetig aufwärts












Aber für diese Aussicht tun wir schon was!















Wir meinen, dass die Strecke zum nächsten Nationalpark gar nicht so weit ist – aber den Weg zu finden ist sowohl für das GPS als auch für uns eine Knacknuss. Plötzlich fühlen wir uns in Afrika: die Bewohner der kleinen Dörfer sind durchwegs Schwarze, die Frauen haben weitestausladende Hinterteile, welche in afrikanisches Tuch gewi­ckelt sind, Kinder winken uns johlend zu und wollen Kontakt, ein Bus ist übervoll mit Schulkindern – sie stehen auch auf der Stossstange, auf dem Trittbrett, hängen zu den Fenstern hinaus. Die ganze Szenerie wirkt fröhlich, überraschend frisch und fremd.  Ich frage nach dem Weg, verstehe aber die Antwort nur andeutungsweise; der Akzent ist mir zu fremd, und: spricht die Frau wirklich spanisch? Unser Reisebuch klärt uns auf: Hier leben Nachfahren der von den Spaniern importierten afrikanische Sklaven.
Die Piste ist schlecht, wir haben keine Ahnung, wo wir sind. Erst nach mehrstündiger Fahrt kom­men wir zum Eingang des Nationalparkes El Angel und fahren zur Laguna El Volade­ro. Das Merzli brummt geduldig die steilen und ruppigen Rampen hinauf. Hocherfreut über das Finden der blütenbestückten und drei Meter hohen Frailejones in biblischer Anzahl kommen unsere Kameras zum tüchtigen Einsatz.
Bis zu 5 Meter hoch werden
die strammen Kerle
Wir dürfen neben dem Haus des Parkaufsehers schlafen. Der etwa 3 km lange Rund­gang durch die herrliche Pflanzenwelt zu den Lagunen ersetzt unser Frühturnen und ist auch Kreislauftraining. Steil (was sonst?) geht’s hinauf zum Aussichtspunkt. Eine prächtige Aussicht bei immer besser werdendem Wetter ist der Lohn. Der Parkwäch­ter sagt, die weiterführende Strasse sei gut und führe direkt zur Grenzstadt Tulcán. Schlechter als bis hierhin kann die Piste ja nicht werden, denken wir. Aber sie wird! Während der langen, holprigen Fahrt erinnern uns die vielen dreimeterhohen „Schleckstängel“ an die Puya Raimonii in Peru.
Puya clava-herculis (Puya)
Der Friedhof in Tulcán ist ein spezieller Ort. Unser Reiseführer meint „ein Ort, der zum Sterben einlädt“. In die Büsche und Hecken sind die vielfältigsten Figuren ge­schnitten. Dazwischen stehen Engel- und Maria-Skultpuren in Bronze.

Friedhof von Tulcan
Ruckzuck: Schon liegt der Grenzübertritt nach Kolumbien hinter uns. Die entspannte Stimmung, die zuvorkommende, korrekte und rasche Bedienung haut uns aus den So­cken. Wir brauchen kaum eine Stunde, um aus Ecuador aus und nach Kolumbien einzurei­sen. Gigantische Lkws, bunte steinalte Busse und deren - gelinde ausgedrückt - rassi­ge Fahrweise fallen uns sofort auf.

Mit dem Einstieg rechts spart man den Mittelgang;
jede Bankreihe hat ihren Einstieg
In der Grenzstadt Ipiales wollen wir eine Au­to-Haftpflichtversicherung abschliessen. Schneller gesagt als getan! Die Dame hat viel Probleme damit: Das im PC befindliche Formular kennt keine Camper und schon gar nicht eine so exotische Nummer, wie wir Schweizer haben. Ein Töffkurier rast nun zwischen unserer und der Hauptagentur hin und her. Nach zweieinhalb Stunden ist das Formular fertig ausgedruckt: Aber – die Chassis-Nr. stimmt nicht! Mer macheds nomol – nun hat die Dame ja Übung und es geht nur noch eine weitere Stunde, bis wir mit einer dreimonatigen Versicherungsvignette an der Windschutzscheibe losfahren können.
Was Lourdes für Frankreich und Europa, ist Las Lajas in Kolumbien und Südamerika. Die Kirche wurde über einer Schlucht gebaut, wo einst eine Mutter mit ihrem taub­stummen Kind eine Marienerscheinung erlebte. Das Kind konnte anschliessend  spre­chen und hören. Menschenströme besuchen täglich die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts erbaute Kathedrale, unzählige Dankestafeln für erfolgte Hilfe säumen den Weg in die Schlucht. Vom Lollipop über Rosenkränze, Heiligenbildern, Marien- Skultpuren, Kinderspiel­zeug und lastwagenweise Kitsch wird an den Kiosken alles zu verkaufen versucht. Aber wozu sind denn die vielen Kanister? Man kann sie bei einem wasserspendenden Engel füllen und dann nach Hause mitnehmen.

Die Kathedrale von Las Lajas
Im Nationalpark El Azufral werden wir beim Refugio von einer illustren Reise­gruppe interviewt. Sie wollen Fotos von sich zusammen mit den dos Suizos (so müssen sich die Affen im Zoo fühlen) – einmal mehr ist der Grössenunterschied von mir zu anderen Frauen ein Thema. Wir werden bewirtet und verwöhnt. Alle wollen das Merzli schauen; Lukas veranstaltet einen Tag der offenen Tür. Die Frauen sind begeistert von der Küche, die Männer vom Allradge­triebe.
Nachdem es die ganze Nacht regnete und die Temperatur einmal mehr auf 3° runterrutschte, machen wir uns schon zeitig bei zweifelhaftem Wet­ter auf zur Laguna Verde und dem Vulkan Azufral (= Schwefelvulkan). Durch eine moosige, artenreiche Vegetation wandern wir auf über 4000 m zur Laguna Verde, welche ihrem Namen absolut gerecht wird. Der Vulkan selbst besteht aus einem „Hügel“ mit stinkend-rauchenden Schwefellöchern. So einfach lässt sich sonst kein Vulkan besteigen.

Über der Laguna Verde; das Hügeli
hinter uns ist der Vulkan Azufral

Laguna Verde
Die nächste Lagune (Laguna del la Cocha) bietet auch eine mit Primärwald bewachsene Insel. Ein herrlicher Spaziergang führt uns durch den prächtigen, mit Bromelien überwachsenen Wald. Am Ufer der Lagune herrscht der Holzchalet-Stil. Fast in jedem Haus werden Forellen in al­len Variationen angeboten. Wir lassen es uns schmecken.

Bei Forelle und Bier hat man gut lachen

Die grossen Bäume sind voller Bromelien und Flechten

Bis jetzt erlebten wir überall in Kolumbien die Menschen als äusserst zuvorkommend, hilfsbereit, offen und fröhlich. In den Städten beherrschen noch mehr als in den bisherigen Ländern die Kleider- und Schuhgeschäfte die Einkaufsmeilen. Neu kommen Lingeriege­schäfte dazu. Mit Busen und Po vergrössernden, betonenden und formenden Korsetts stol­zieren die Frauen hüftschwingend daher. Nirgends war bis jetzt das äussere Er­scheinungsbild so wichtig wie hier. So wundert es uns nicht, dass die Chauffeure auf die Hupe drückend an den Weibchen vorbei fahren und diese die männliche Aufmerksamkeit offenbar geniessen.

Lange wer-weissen wir, ob wir die Fahrt über die Berge von Popayan nach San Agustin wagen können. Die auskunftgebenden Polizisten sind sich überhaupt nicht einig; der ranghöchste – er scheint uns ziemlich seriös und kompetent – meint „viel zu gefährlich, Guerillas, ein Umweg von einigen hundert Kilometern ist unumgänglich“; die Touristenpolizei: „Kein Problem, aber nicht nachts fahren“; die junge Dame auf dem Touristenbüro: „Die Strasse ist in schlechtestem Zustand, kaum befahrbar“. Zwei weitere Polizisten an einem Kontroll­posten schauen sich gegenseitig an und tun so, als ob die Frage idiotisch wäre und geben uns eine klar ablehnende Antwort: „Zu gefährlich“. Jetzt verlassen wir uns auf den Reisebericht von Walter und Regine, die diese Strecke vor einigen Wochen gefahren sind und bloss die Schönheit der Strecke beschrieben, ohne irgendeine Gefahr zu erwähnen. Und wir fahren: Wir werden nicht überfallen, ge­niessen die wunderschöne Vegetation und wundern uns über die meist ordentliche Pis­te. Bereits am frühen Nachmittag erreichen wir San Agustin und geniessen auf dem Campingplatz die Ruhe und Wärme.
San Agustin ist bekannt wegen den ärcheologischen Fundstätten. Es hat zu Hauf Stelen, Skulpturen und Gräber aus Zeiten von 4000 v.Chr. bis 1500 n.Chr. Hoch zu Ross (für mich die Premiere in meinem Leben!) geht’s vier Stunden von einer Ausgrabung zur nächsten. Gut, dass wir zwischendurch vom Pferd steigen können – die Entlastung meiner Knochen ist willkommen.

Schöner Ausritt; als Premiere war's ein bisschen
viel, aber der Genuss war hoch
Eine Jeeptour führt uns am nächsten Tag noch zu weiteren (Kult)Stätten. Die Skulpturen schauen mit ihren furchterregenden Zähnen teils grimmig drein. Er­staunlich sind die Dimensionen der Gräber, hatten diese Kulturen doch kaum Werk­zeug zu deren Aushebung. Aber mindestens ebenso wie die Skulpturen erstaunt uns die Tatsache, dass bei der Fahrweise des Uralt-Jeeps dieser nicht auseinanderfällt und kein Unfall passiert...

Ob da das Kind in seinem
Arm geopfert wird?
Nach einigen Tagen in San Agostin werden wir nördwärts fahren. Wir freuen uns auf die Wüste Tata­co.

Herzliche Grüsse sind verbunden mit der Hoffnung, dass Ihr alle gesund seid und die Herbststürme hinter Euch habt.

Brigitte und Lukas