Freitag, 30. Dezember 2011

Feuerland


Rio Gallegos - Porvenir - Rio Grande - Ushuaia - Laguna Blanca



Einige Vorurteile zu dieser Region müssen sofort korrigiert werden: Es regnet nicht jeden Tag, der Wind bläst nicht ohne Unterbruch (minutenlange Pausen sind möglich), man muss nicht immer frieren! Allerdings machen die kurzen Hösli Pause.
                                    
Feuerland muss verdient werden mit Anstehen am Grenzübergang zu Chile. Die Schalter für die Ausreise aus Argentinien und die Einreise nach Chile sind im gleichen Gebäude untergebracht. Als Schweizer findet man das ganz praktisch und einfach. Zuerst wird man gebeten, ein Zollformular auszufüllen. Dann anzustehen. Dann, nach 45 Minuten, darf man beim Migrationsschalter dieses Papier und die Pässe zeigen und ein weiteres Formular ausfüllen. Das Zollformular könne man direkt bei Schalter Nr. 3 abgeben, was aber nicht die Meinung der Dame am Schalter 3 ist, da der nötige Stempel fehle. Also stehen wir bei der Polizei - Schalter 2 - an und wir bekommen den Ausreisestempel. Der argentinische Zoll will unsere Autopapiere sehen und behält das Auto-Einfuhrformular für sich. Da wir beim Zoll in Buenos Aires die Order bekamen, dieses Papier unter keinen Umständen aus der Hand zu geben, wehre ich mich entsprechend und in brillantem Spanisch. Aber erfolglos; auch auf meine Aufforderung, El Jefe zu konsultieren, ändert nichts daran, dass ich das Papier (und bitte das Original) abgeben muss. Nun kommt der Zoll von Chile, die Migrationspolizei und schlussendlich die Bestätigung, dass wir das Auto nach Chile einführen. Alles ist harte Arbeit – und wir sind doch pensioniert! Nach anderthalb Stunden haben wir den Chrampf vollendet. Aber jetzt folgt die Kontrolle der Lebensmittel: Weder dürfen von Argentinien nach Chile noch umgekehrt Fleisch, Honig, Früchte oder Gemüse eingeführt werden. Für den Camperhaushalt heisst das, die Einkäufe und den Verbrauch immer gut zu planen. Ich bin noch am Lernen, dass Begründungen, dass logisches Argumentieren in dieser Beziehung nichts bringt. Das gipfelt am 23. Dezember an der Grenze zu Chile (innerhalb von Feuerland) darin, dass ich entweder all die feinen Sachen für die Weihnachtsfeiertage dem nicht so flexiblen Zöllner zu schenken oder auf der Stelle zu kochen habe! Der sture Bock soll von mir aus  Konserven fressen! Also verkoche ich alle Lebensmittel. Der Salat mit Avocados, Tomaten, 2 kg Orangen und 4 Bananen werden zusammen mit unseren Reisekumpanen sofort verzehrt (was wenig später den WC-Papierverbrauch in die Höhe schnellen lässt). Gut, dass der Gesetzeswächter nicht gemerkt hat, dass ich das Fleisch nur schnell angebraten, aber innen noch roh gelassen habe.
                                                                        

Im Norden von Feuerland sieht’s vorerst mal gleich aus wie im südlichen Festland. Viele Guanakos, viele Gänsepaare, aber neu auch viele Ibis necken unseren Fotoapparat (das Wort „stillhalten“ kennt keines dieser Individuen!).
                                                                       
Der vom Meer  angespülte Abfall entlang der Magellanstrasse schockiert uns. Verflucht sei der Plastic, das PET! Das einzige chilenische Städtchen - Porvenir (Zukunft) - ist bescheiden; Geld und Frischwasser zu bekommen also eher schwierig.
Viele der auf der Strassenkarte  aufgeführten Ortschaften bestehen  nur aus einer Estancia, und auch diese sind häufig bereits verlassen.                                                                
Früher waren Estancien autonom organisiert; sie hatten eine eigene Schule, Restaurant, medizinische Hilfe, soziale Kontakte, ja sogar eigenes Geld - ähnlich war es im Norden in den Salpeterabbaugebieten.  Die Distanzen zu den Nachbar-Estancien sind enorm und die Pisten oftmals übel. Das ist ein Vorteil für uns: wenige Autos und somit hoher Genuss, in langsamem Tempo die Landschaft zu geniessen. Auch heute werden vorwiegend Schafe gehalten, welche im Dezember geschoren werden. Zu diesem Zweck werden sie von der Weide zur Estancia getrieben – mit Gauchos und Hunden – wie im Bilderbuch!
                                                            
Das südliche Feuerland beginnt bei Rio Grande, wo früher erfolgreich nach Gold gebuddelt wurde und heute Gas gewonnen wird (2500 km Leitung bis nach Buenos Aires!).
Südwärts bezaubert uns ein Feenwald: die Bäume sind mit langen Flechtengebilden behangen. Von Bibern und Bränden zerstörte Waldflächen und bald auch schneebedeckte Gebirgsketten faszinieren uns. Die Landschaft ist wahnwitzig schön.
                                                            
Ushuaia  - ehemaliger Ort für Gefangene – ist die südlichste Stadt der Welt und das Traumziel (fast) aller  Südamerikafahrer. Die Stadt ist wirklich gross und bietet jeden Komfort. Klar, dass die Arnolds sofort auch die beste und originellste Bäckerei finden (sie ist im Führer nicht erwähnt!). Ich werde noch lange vom knusperigen Speckbrot schwärmen!
                                                            
Der Nationalpark bietet wunderbare Wanderungen, allerdings findet man ähnliches  auch ausserhalb des Parkes. Die Möglichkeiten zu wandern, sich in der Natur aufzuhalten, sind praktisch unbegrenzt. Nach drei wunderschönen Tagen kippt das Wetter und es schneit bis fast auf Meereshöhe. Ob das wohl ein Touristen-Gag ist,  damit die Nordländer doch noch ein wenig Weihnachtsgefühl bekommen?
                                                                                             
Trotzdem haben wir noch vor Heiligabend das Touristenparadies verlassen und sind nordwärts ins Innere des sehr einsamen Feuerlandes gefahren (also wieder einmal ein Grenzübergang... ). Wir feiern Weihnachten zusammen mit dem Franzosenpaar, ganz alleine an einem traumhaften See, mit viel Feuer, einer kleinen Hütte, selbstgemachten Empanadas, Risotto und natürlich Filets. Zum Dessert gibt’s Käse und mit Pfirsichen gefüllte Empanadas (die Französin kocht sehr gut!).
                                                            
Wir bleiben drei Tage am See, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Leider haben sich auch die scheuen Guanakos aus dem Staub gemacht, an ihrer Stelle sind Vögel gekommen. Direkt über uns segelt ein Kondor. Herrgott ist das schön!
Da ich an der Grenze alles vorgekocht hatte, bleibt mir an den Festtagen kaum Arbeit übrig. Kein Internet, kein Natel - also Freiheit pur!
                                                                                    
Eine Begegnung mit einer argentinischen Familie lehrt uns, was Gastfreundschaft heisst. Eine kurze Begrüssung und zehn Minuten Geplauder irgendwo in der Pampa genügen, um uns vier zu einem Asado (Grillfleisch: Schaf, Huhn, Rind, Würste und je nach Gastgeber auch mehr oder weniger appetitliche Innereien) bei ihnen zu Hause einzuladen. Dazu wird die ganze Familie zusammen getrommelt.
                                                            
Um 22 Uhr gibt’s dann Znacht: Vom Feinsten! Schaffleisch so zart und saftig wie in süssen Träumen, Rindfleisch, auch wenn’s kein Filet ist, perfekt gebraten, wunderbare Würste (die ich bisher im Supermarkt links liegen liess) und Gott sei Dank weder Hirn noch Lunge ... Dann gibt’s Musik und wir tanzen,  tauschen gegenseitig Geschenke aus, wobei die Geschenke der Argentinier klar überwiegen. Kurz: der Umweg von 70 km hat sich gelohnt!
Bei dieser Familie handelt es sich nicht um Leute der Oberschicht. Das Ehepaar kocht in einer Schule täglich für 300 Kinder (auch während der Ferien können diese dort eine Mahlzeit erhalten) und verdient zusammen etwa 2250 Fr. Die Preise für Lebensmittel sind – ausser Fleisch – nur wenig günstiger als bei uns.
                                                                       
Wir verlassen einen unserer ersehnten Höhepunkte der Reise und freuen uns, bald Franziska und Christian in Punta Arenas, der südlichsten Stadt auf dem Festland Südamerikas, zu sehen und mit ihnen Silvester zu feiern. Danach werden wir etwa vier Wochen gemeinsam durch Patagonien reisen.
Vorher lockt aber noch der Nationalpark Pali Aike mit seiner vulkanisch aktiven Vergangenheit, den Wandermöglichkeiten zu den bizarren Kratern. Werden wir zu den glücklichen Besuchern gehören, die hier einem Puma begegnen?
                                                                        

Es freut uns, wenn es Euch allen gut geht, Ihr einen genussreichen Rutsch ins neue Jahr feiern könnt und wir Euch gesund im 2012 wiedersehen.

Liebe Grüsse
Brigitte und Lukas

Wer mehr Fotos sehen möchte, findet diese auf dem Fotolink.





Mittwoch, 14. Dezember 2011

Südwärts durch Santa Cruz

Halbinsel Valdés - Cap dos Bahìas - Comodoro Rivadavia - Pto San Juliàn - Rio Gallegos



Einem frischgewählten Bundesrat gibt man 100 Tage, bevor man seinen Start beurteilt. Da ich kein Bundesrat bin, versuche ich eine erste Bilanz unserer Reise schon nach 30 Tagen – plus die Ouvertüre durch Deutschland und die Schifffsreise – zu ziehen.
Mit dem Auto sind wir bis jetzt sehr zufrieden. Bis jetzt deshalb, weil wir bisher immer den schwefelfreien Eurodiesel tanken konnten. Die Nagel-, sprich Schwefelprobe fand noch nicht statt. Das Auto bietet uns nicht nur den nötigen, sondern zusätzlich auch einiges an wünschbarem Komfort. Es ist nicht zu klein, aber auch keinen cm3 zu gross. Den Allradantrieb brauchten wir bei weitem nicht auf 1 % unserer Strecke, aber ohne ihn wären wir bestimmt schon mehr als ein Mal steckengeblieben.

Wir wissen, dass wir viel Zeug mitschleppen, zuhause aber hatten wir den Mut nicht, es zu reduzieren. Und die noch am ehesten verzichtbaren Dinge waren aber auch die leichtesten und kleinsten und daher auch am allerwenigsten wert, darauf zu verzichten. So gehört es mittlerweile zum täglichen Ritual, umzuräumen, wenn man ein Ding von hinten unten links braucht.




          Mangelt es uns in Beziehung aufs leibliche   
                 Wohl an etwas? Ich sehe nichts, nada!




Die Vorbereitung der Reise war sowieso ein Paradox, es ist wie die Suppe auslöffeln, bevor man sie auf dem Teller hat. Das Schöne und Interessante an unserer Reise - wir geniessen das jeden Tag - ist doch, nicht zu wissen, was als nächstes geschieht. Trotzdem machten wir zu Hause zwanghaft das weiter, was wir in unserem Berufsleben täglich tun mussten: Vorausplanen, uns mögliche Szenarien vorstellen: Wir ohne Ersatzkleider in Rio, wir mit gestohlenem Auto in
Bolivien, wir mit im Salzsee bis aufs Chassis eingesunken Camper, wir mit jämmerlichen Zahnschmerzen und gestohlenen Kreditkarten, ... . Und so hat es halt in dieser und jener Kiste nicht nur Dinge für den täglichen Gebrauch...
Auch wider alles Wissen behaupte ich, die Tage eines neuen Bundesrates können nicht voller an Erlebnissen sein als die unsrigen. Da denken wir beim Morgenkaffee, dass uns heute ein ruhiger, vielleicht gar eintöniger Tag bevorsteht. Aber da entdeckt der Feldstecher am Meeresufer eine Seelöwenherde. Wir gehen hin und bemerken drei Stunden später, dass diese zufällig entdeckte, in keinem Führer und durch kein Schild angezeigte Kolonie uns diese Tiere schöner und näher und noch natürlicher zeigte als die bisherigen in Naturschutzzonen gesehenen.



            

                                                             Nicht allzu leide Föteli, oder?


Kürzlich machten wir einen 8 km langen Umweg über eine Piste, um ein Freilicht-Geologiemuseum zu besuchen. Das Museum war ein Pluspunkt für diejenigen Leute, die Argentinien als das „no hay“ und „cerrado“-Land bezeichnen (haben-wir-nicht, geschlossen). Aber wir wollten der wunderschönen Schichtstufe nicht einfach den Rücken zukehren und folgten dieser und der Piste. Brigitte ist ja ein Genie im Kartenlesen und ich weiss mit dem TomTom umzugehen. Auf der Karte war der Weg ein Grad besser eingestuft als gar nicht. Wir wurden nur wenig misstrauisch, als die Piste – völlig unlogisch und entgegen aller Erfahrung, mehrere Kurven machte. Eine am Weg auftauchende abgewrackte Fabrik und 200 m Teerresten-Strasse gab uns Sicherheit. Dann aber ging's los: Nicht mal der genialste Karussellkonstrukteur könnte sich für sein Unternehmen eine unbequemere Fahrt einfallen lassen als uns geboten wurde. Nun, um es kurz zu machen: Hätte sich Neil Armstrong auf dem Weg zur Abschussrampe verlaufen, er wäre nicht frustrierter gewesen als die geniale Kartenleserin und der geübte Tschi-Pi-Essler, als diese nach 3 Stunden, heissgelaufenen Stossdämpfern, unzähligen Orientierungshalten und zwei sich widersprechenden Auskünften von Lastwagenchauffeuren an einem völlig unerwarteten Ort wieder auf die Welt kamen.
Da lacht sie noch. Dann nicht mehr.
Nach dem zweiten Bier wieder.

Kürzlich starteten wir zu einer kleinen Biketour. Der Tag versprach wunderbar zu werden: Sonne, aber kein Wind (dafür erfrischten sich aber dauernd die Fliegen an des Velofahrers Schweiss). Da der Single-Trail so schön war und die Aussicht aufs Meer so traumhaft, kam uns die Idee zur Umkehr etwas zu spät. So kamen wir extrem müde, durstig wie ein Staubsaugersack, aber absolut glücklich, etliche Stunden später als geplant zum Auto zurück.

So richtg im Grünen, nur Ameisen und
Schafe besuchen uns.



Die Abende sind meistens herrlich: Die Sonne verkriecht sich später, je südlicher wir kommen. Das Wolkenspiel ist spannender als ein Fernsehprogramm. Gerade heute, den Magen mit genügend Filet gefüllt, staunen wir über die 360°-Grasebene, in alle Richtungen bis zum Horizont. Ca 2 km entfernt eilen Autos auf der Teerstrasse vorbei. In der andern Richtung entdecken wir durch den Feldstecher einige Guanakos. Vier Schafe grasen, dickköpfig entschlossen, unser Auto nicht wahrzunehmen. Der Ton eines Einsatzfahrzeuges entpuppt sich als das Geschrei vorbeifliegender Vögel. Wir machen noch einen Spaziergang, bevor wir bei Einbruch der Dunkelheit, um halb elf Uhr, ins Auto zurückkehren, um Fliegen zu töten und herrlich zu schlafen.
Aussicht rundum bis ins Unendliche
Jetzt geht's noch ein paar Augenblicke,
und der Wind stellt ab und macht den Fliegen Platz




Herzliche Grüsse an alle! Auch auf dem Weg nach Feuerland werden wir häufig an Euch denken.

Lukas und Brigitte

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Sonntag, 4. Dezember 2011

Hola Pampa

Buenos Aires - N.P. Linuel Calel - Viedma - Halbinsel Valdés






Am Freitag, 18.11. spuckt uns die Grande Africa aus - wir werden direkt ans Ufer der 14 Millionen Stadt Buenos Aires gespült. Es ist krass; gleich von soviel Lärm und Menschen umgeben zu sein! Allerdings dauert das Ausspülen sechs Stunden; spätestens jetzt merken wir, dass argentinische Uhren anders ticken als europäische.

Die Grande Africa spuckt uns aus
Es wird Abend, bis wir wieder im Besitze unserer Pässe, Impfausweise und  den Einfuhrpapieren sind und vor uns liegt das Wochenende. Bevor wir 3 Tage an der modernen, angenehmen Grossstadt schnuppern, vertilgen als erstes einmal ein riesiges Stück Fleisch. Buenos Aires bietet aber mehr: lebhafte, aber geordnete Strassen, wunderschöne Parkanlagen und, wenn man wollte, wären Dutzende von Museen zu besuchen. Unser Auto steht am Strassenrand unter wunderbar  schattigen Bäumen: Die Schweizer merken erst später, dass die Bäume ununterbrochen einen Saft auf das Auto tropfen lassen und auf diesem hartnäckige orangefarbene Spuren hinterlassen. Ja, alles hat seinen Preis – ein kostenloser Stellplatz mitten in der Stadt kann man nicht ohne kleine Hindernisse bekommen! Frühlingshaft bewegt sich die Temperatur zwischen 24 und 28 Grad, nachts gibt es immer ein Gewitter, welches eine angenehme Abkühlung bringt.




Nach Stadtrundfahrt, kilometerlangem Laufen, Einkaufen und Abschliessen der Haftpflicht-versicherung geht’s vier Tage später Richtung Süden auf, wo wir zuerst die Halbinsel Valdés zum Beobachten von Walen, Seeelefanten und anderen imposanten Meerestieren anfahren möchten. Dazwischen liegen etwa 1500 km – aber nur, wenn man auf direktestem Weg dorthin fährt.
Aber wir sind pensioniert! Wir müssen gar nichts mehr in direktem Angriff nehmen; wir geniessen es, die Zeit, die Route, die Aufenthalte genau nach unserem Gusto zu gestalten. Nur um von Buenos Aires rauszukommen, benützen wir die Autobahn.
Bald sehen wir, was man hier unter Pampa versteht: Topfeben, grün und viele, viele Rinder. Die Estanzien liegen weit auseinander; sie sind teilweise bereits in einem fragwürdig bewohnbaren Zustand. Je südlicher wir kommen, umso struppiger, trockener und fressfeindlicher werden die Weiden. Ein Rind steht so lustlos am Zaun, als wäre es im Fressstreik. Keinem Schweizer Rindvieh würde man eine solche Weide zumuten. Aber eben; wir sind ja in Argentinien und da ist alles, was Rind und Fleisch angeht, nicht mit unseren Ellen zu messen.




Die besten Geschäfte macht hier aber bestimmt der Zaunfabrikant. Alle Parzellen sind eingezäunt.  Die kleinste handelbare Einheit betrage 2500 Hektaren! Jeder Strasse – auch den kleinen, unbedeutenden Pisten entlang - führt ein Zaun. Will man das Vieh aus- oder einsperren? Oder gilt der Zaun den Menschen (oder Campern, die sich ein Plätzli für die Nacht suchen wollen)? Ist ein Rindvieh mal ausgebrochen, ist es verloren. Einen Weg zurück findet es kaum wieder und ausserhalb der Weide ist kein Überleben.
Nach 2 Tagen erreichen wir den kleinen Nationalpark Linhuel Calel. Hier ist es trocken-trocken und staubig-staubig-staubig.


3 Tage genügen für vieles: Für eine Wanderung auf die tollen, mit Flechten überzogenen Felsblöcke, eine Biketour (3 Mal Loch im Reifen) und um unser ganzes Hab und Gut in Staub zu hüllen. Die Einöde mit Tundra-Struktur lässt uns immer wieder fragen, warum hier draussen Menschen wohnen, wo knapp das Vieh überlebt. Den Vögel scheint es sehr zu gefallen: Der „Lärm“ ist zeitweise penetrant, lieblich, bedrohlich, fröhlich und exotisch. Nur fotografieren lassen sie sich schlecht. Ein Füchslein schleicht sich dauernd um unser Auto rum; aber eigentlich wollen wir einen Puma oder wenigstens eine Wildkatze sehen. Dafür werden wir auf der Biketour von 2 Vogelspinnen überrascht. Eindrücklich, solche Dinger ohne vorgeschaltete Terrariumscheibe vor die Linse zu bekommen.
Wer schafft das ebenfalls: Zwei Platten aufs Mal!

Unsere Wege kreuzen sich - gegenseitig
lassen wir einander leben...

Langeweile kommt auch bei Pistentempo nicht auf. Der Fahrer muss sich ziemlich konzentrieren und die Beifahrerin sieht die Hasen, die Ňundas und Füchslein über die Strasse huschen, Adler kreisen und auf Leckerbissen warten (wir überfahren deswegen aber keine Tiere!).
Campieren direkt am Strassenrand. Während der
ganzen Nacht fuhr kein Auto vorbei

Wenn uns andere Südamerikafahrer erzählten, dass auf der Ostseite Argentiniens nichts ist, konnten wir uns das „Nichts“ nicht vorstellen. Aber es gibt tatsächlich einfach nichts ausser einem Strassenband, links und rechts der obligatorische Zaun und dorniges Gestrüpp dahinter. Eine Kuh oder ein Pferd in diesem ist bereits erwähnenswert. Das „Band“ (Rute National 3) verlassen wir aber immer wieder und geniessen Höhepunkte, wie Schlafen direkt am Meer, traumhafte Sonnenuntergänge, grandiose Küsten, Stille und Einsamkeit. Fürs Merzli sind einige Strecken fürchterlich; es lässt sich aber nichts anmerken, ist nur dankbar für Euro-Diesel und Luftfilterreinigungen.
Die über dem Himmel hängende Vulkanasche aus kürzlich ausgebrochenen Vulkan macht Menschen, Tieren und Luftfiltern zu schaffen.
Die Kochgas-Beschaffungsübung haben wir in einer „prächtigen“ Eisenwarenhandlung hinter uns gebracht. Dauer: etwa 2 Std. und mit viiiel Engagement des jungen Angestellten im Suchen der passenden Anschlüsse.
Am 29.11. erreichen wir die Halbinsel Valdés. Viele Erwartungen haben wir in dieses Reiseziel gesteckt. Seeelefanten und –löwen lassen sich aus tierfreundlicher Distanz beobachten – die Touris hätten gerne die Zäune etwas näher bei den Tieren! Die Wale haben die Bucht verlassen und werden erst wieder im nächsten Juli zurückkehren – glaubten wir bis kurz vor Drucklegung dieses Berichts. Und vor drei Stunden hatten wir die enormen Leiber mehrerer Wale inkl. Jungtiere bis 40 Meter vor den Augen. Das ist für uns so extrem beeindruckend, dass wir Hitze, Sonnenbrandgefahr,  Durst schlichtweg vergessen.

Fazit bis jetzt: Reisen ist schöner als arbeiten – aber nicht minder anstrengend. Wir sind abends müde und legen uns gerne nach einem kurzen Jass hin.

Liebe Grüsse
Brigitte und Lukas

Mehr Fotos findest du auf dem entsprechenden Link (Rechtsklick).

Samstag, 19. November 2011

Schifffahrt 2

Hamburg - Antwerpen - Le Havre - Dakar - Freetown - Rio de Janeiro - 
Sao Paulo (Santos) - Montevideo -  Buenos Aires

Von 55° N bis 35° S wechselt 
das Klima spürbar!
Huere schön!  

















Grad vorneweg: Auf dem Schiff wurden während den 35  Reisetagen unsere geringen oder die schlimmen oder schlimmsten Befürchtungen nicht nur nicht bewahrheitet, sondern standen im Widerspruch zur Wirklichkeit. Seekrankheit? An der französischen Westküste bekamen wir eine kleine Ahnung, was das sein könnte, seither aber ist das Meer handzahm wie eine verbibäbelete, vollgefressene Katze. „Langeweile“ müssen wir bereits im Wörterbuch nachschauen, um uns zu erinnern, was das bedeutet. Schmutz? Man gewöhnt sich an alles, die Erfindung des Kärchers ist dem Schiffspersonal bekannt, und Zugang zu Putzmaterial und Waschmaschine ist rund um die Uhr garantiert. Enge? Unsere Koje ist wohl fensterlos, aber deutlich grösser als eine Telefonkabine. Wir haben sie zum Ort des Schlafens degradiert und halten uns auf den offenen Decks oder in der Offiziersmesse (konfessionsneutral!) auf.
3 Mal täglich wird ein Zeit-Ankerpunkt gesetzt

Um nicht unkonventionell zu werden, kommen wir jetzt aber endlich auf die zwei üblicherweise wichtigsten Reisebericht-Inhalte zu sprechen: Essen und Wetter.
Die Mahlzeiten bilden das Grundgerüst des Tages. Unverrückbar treffen wir 11 Passagiere uns dreimal zur gemeinsamen Hüft- und Bauchverstärkung. Jesus, der Koch, ist nicht ganz so schlank und gütig wie sein berühmtester Namensvetter, gibt sich aber Mühe, konsequent für Philippiner und Europäer, für Moslems und andere, für hungrige und nur für Glüstende, dreimal eine mindestens lauwarme Mahlzeit bereitzustellen. Seine Überzeugung, alle hätten eine abgrundtiefe Abneigung gegen jegliche Gewürze und Kräuter, kann ihm niemand ausreden. Wir schätzen das Selbstbedienungssystem, das erspart uns Bohnen schon zum Zmorge oder täglich dreimal Reis, Pommes frites und Stock... Und rund um die Uhr ist erlaubter Zugang zum Kühlschrank mit Aufschnitt und Confibrötli-Zutaten.
Dass wir zwei beide Engel sind, wissen wir schon lange; dass der Spruch „Wenn Engel reisen...“ wahr ist, erst seit unserer Schifffahrt. Von Hamburg bis Portugal war das Wetter windig und herbstlich kühl, geregnet hat es aber nur in Antwerpen. Ab Gibraltar wurde es rasch warm und wärmer bis zumbuchstäblich tropischen Klima. Über Mittag war während vielen Tagen wahrhaftig nur genau unter den Fusssohlen Schatten, und wer wollte, konnte sich mühelos innerhalb weniger als einer Stunde einen neonrotleuchtenden Sonnenbrand zulegen.

Ein Gewitter ist ein Erlebnis
Zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo ist der Wendekreis: Fertig schwitzen, fertig mit seichwarmem Poolwasser. Aber kalt ist's noch lange nicht, auch wenn hie und da die Dienste eines Pullovers wieder gefragt sind. Die Sonne spielt mit der Reflexion auf dem Wasser. Das gibt dem Meer eine Farbe, die mit blau ebenso exakt umschrieben ist wie das Appenzellerland an einem herrlichen Sonnentag mit grün. Am Nachmittag folgt meistens das Tropenregenschauspiel: Irgendwo am heiteren Himmel wächst aus einem Wölklein mit heimtückischer Geschwindigkeit eine Bank aus Kumuluswolken. Die greifbare Ähnlichkeit mit dem Weltuntergang lässt uns in die Nähe einer Türe aufsuchen. Dann schüttet es ebenso gewaltig wie kurz, der Tropfenwirbel schlägt einen Regenbogen und hinterlässt ein betrogenes Meer, das gar keine Zeit fand, sich aufzuwühlen. Und wir trocknen die Stühle und geniessen die Abendfrische, bevor sich die Sonne um sechs Uhr ins Meer verkriecht.
Soeben auf die Südhalbkugel gewechselt!


Dein Name sei "Grosser Weisser Hai!"


Nebst den 2½ Tausend Autos, vielen LKWs, Baumaschinenungetümen, Stahlplatten und -rohren und Containern transportiert die Grande Africa auch eine Crew aus 22 Philippinos und 5 Schweden sowie 11 Passagiere: 2 Franzosen, 2 Schweizer, 7 Deutsche (beachte: auch hier in der Überzahl). Diese Passagiere dienen der Reederei nicht nur zum Generieren von Geld, sondern vor allem zu Vorrechten bei der Hafeneinfahrt. Trotzdem warten wir vor Freetown 3 Tage und stehen auch vor Sao Paulo 48 Std. buchstäblich im Stau. 28 Schiffe 
vor uns! Und in der Schule erzählen die Lehrer, dank der Umstellung auf Container und daraus folgender kürzerer Standzeit sei eine weltweite Hafen-Überkapazität...
Was wir so den ganzen Tag machen? Hier eine kurze unvollständige Auswahl, natürlich bringen wir nie alles in einem Tag unter: Das Wetter und den Blick übers Meer geniessen, in einem Liegestuhl lesen, spanisch lernen, auf den offenen Decks spazieren und z. B. dem Rosten zuschauen, einen Besuch auf der Brücke abstatten, die Seekarte und die Position studieren, meerstechen (die Deutschen sagen dem „ins Fernglas kucken“), das Mittagessen nicht verpassen, ein Mittagsschläfchen halten, lesen, Fotos sortieren, fliegende Fische beobachten, einen Kaffee trinken, den Füllgrad des Pools kontrollieren und schwimmen, das Wetter bestaunen, die eigene Äquatortaufe erdulden und diejenige der andern geniessen, den Fitnessraum nutzen, zuviel zu Nacht essen, jassen, etwas am Auto chnütterlen..., und wisse: Das Meer weigert sich standhaft, weniger eindrucksvoll zu werden und will weiterhin beobachtet und bestaunt werden.
Nicht mal im Bilderbuch ist die Hafeneinfahrt
nach Rio de Janeiro
schöner

Wenn wir einen Hafen anlaufen, gibt's besonders viel zu tun: Meerstechen, fotografieren, den An-/Ablegevorgang beobachten und kommentieren, den Kranen und den Container-Staplern zuschauen, das äusserst liebevolle, sorgfältige (!!) Be- oder Entladen von alten Autos mitverfolgen, hier und dort ein Schwätzchen halten, sich ob den Internetfreaks wundern, die stundenlang mit Spezialantenne und viel Verbissenheit erfolglos ein Netz suchen.
Rio de la Plata: Nach Montevideo



Es wird Zeit, das Schiff zu verlassen: Heute ertappte ich mich dabei, dass ich mir die Windgeschwindigkeit in Knoten merkte, das Schiff nicht mehr „ship“, sondern „vessel“ nannte und die SSW-Richtung mit 225° benannte. Trotz der bombastischen Seefahrt freuen wir uns auf die Ankunft in Buenos Aires. Bis jetzt hatte der Käptn die Reise-Verantwortung, jetzt wollen wir sie übernehmen. Auf geht's!


Für weitere Fotos findest Du in der Spalte links den entsprechenden Link (Rechtsklick).

Entspannte Grüsse von
Lukas und Brigitte

Mittwoch, 16. November 2011

Schifffahrt 1

Hamburg - Antwerpen - Le Havre - Dakar - Freetown - Buenos Aires - 
Sao Paulo (Santos) - Montevideo -  Buenos Aires

5 Wochen,,,

Eine Ehrfurcht erheischende Grösse

Was macht ein Schweizer, dem eine fünfminütige S-Bahnverspätung – trotz entschuldigender Lautsprecherdurchsage – Ärger bereitet, wenn die Abfahrt seines Schiffes nur Zweitage-genau verraten wird? Er fühlt sich elendiglich unwohl. - Brigitte und ich sind Schweizer.
Das Internet gibt als Abfahrtstag den 14. Oktober an, also kommen wir am 12. abends in Hamburg an und machen uns reiseführergläubig auf zur Reeperbahn. Wir kommen zum Schluss, dass wir ausserhalb der Norm sein müssen: Wir brauchen weder Latexmasken, noch 200 Kneipen, keine meterlangen Dildos oder Liveshows. Ein Bierli reicht uns.
Dass wir am nächsten Tag schon vor der Mittagszeit passschwingend am Schalter stehen, enorm stolz, den richtigen Quai gefunden zu haben, kümmert niemanden. Dass Schiff hat noch nicht mal angelegt.
24 Std. später: Wie eine Matrone liegt die Grande Africa ans Pier gefesselt und lässt teilnahmslos alles über sich ergehen. Ob 1'500 PWs – die meisten keck dem Schrottplatz entwischt - in ihren betagten Bauch humpeln oder Ungetüme von Baumaschinen, sie bewegt ihre 150 000 Tonnen keinen Millimeter.
Donna Grande Africas Eingeweide sind verschlungen: 12 Docks hoch (ca 37° warm, also nur knapp fieberfrei), dann rund 17 Mal links und rechts, dann werden wir in einer kleinen Darmzelle zwischengelagert. Diese Zelle hat 2 Betten, DUSCHE, Kühlschrank. Kein Fenster.
Eine Stadtbesichtigung später darf die Matrone noch ein Homöopathie-Kügeli schlucken: unser Cämperli. Für den Fall, dass ihr der Magen mal überschwappen sollte, wird es tüchtig festgezurrt.
In der Fahrzeughalde von Hamburgs Hafen hat's einige Lücken gegeben. Jetzt darf die Matrone losgleiten. Ob sie weiss, dass in Antwerpen und Le Havre ihr noch hungriger Magen mit weiteren 1000 Fahrzeugen gestopft wird und ihr auch noch hundert Container auf die Nase gesetzt werden?
Unsere erste grosse Seefahrt hat begonnen! Elbeabwärts, später durch den Ärmelkanal, geht's an Aberdutzenden anderen schwimmenden Märchenländern vorbei. Vor uns liegen perlenkettengleich Markierungsbojen. Das ist der Weg nach Buenos Aires! Ja, wir kommen!
Wieder schmiegt sich ein kitzekleines Bötchen an unsere Lady. Der Lotse für Le Havre kommt an Bord. Ja, auf See ist aus unserer unförmigen Matrone eine Lady geworden: Lächelnd schneidet sie den Atlantik entzwei, um 220 Meter später das gepeinigte und nach Rache schreiende Wasser sich wieder mit Luft zusammenschlagen zu lassen und dann ein kilometerlanges Luftwasser-Gewebe hinter sich herzuziehen. Das Sulzer-Dieselherz schnurrt unbeirrt und zufrieden, bekommt es doch bei Volllast stündlich 14 t Diesel.

Vor Tagen noch schrieen wir unsere Begeisterung in den eisigen Fahrtwind, wohl geschützt durch Pullover, Jacke, Kappe. Aber schon weit vor Dakkar lächelt der Geografielehrer: Das mit der zunehmenden Wärme Richtung Äquator ist wirklich wahr, Jahreszeit hin oder her! Badehosen her, die Lady hat das entzückende Grübchen auf ihrem Hinterteil mit Badewasser gefüllt! Auch dort treibt es uns zu Begeisterungsschreien.
Ganz gerissen von unserer Lady: Da hie und da etwas gemotzt wird über ausfallende oder ungenügende Klimaanlage, über gewisse Unreinlichkeiten, schickt sie uns in Dakkar für einige Stunden an Land. Der Schock über die Zustände in diesem städtischen Afrika genügt, um zur Grande Africa wieder ehrfürchtig und dankbar zurückzukehren.
Freetown ist nicht rechtzeitig bereit für den Damenbesuch. Der Hafen verweigert der Grande Africa vorläufig die Einfahrt. Aber unsere Lady ist schlau: Damit sie nicht von ungebetenen Piraten bestiegen wird, kreuzt sie am Tag und in der Nacht pausenlos in unvorhersehbaren Schlaufen vor dem Hafen. Dabei möchte sie doch nur ein paar hundert Auto-Schwarten ausspucken: Brosamen für Afrika, gesparte Sackgebühr für Europa. Einigen Walfischen gefällt es, den geschenkten zusätzlichen Tropen-Ferientagen mit einer Tanzkür das Tüpfli auf's i zu setzen.













Herzliche Grüsse von den Seefahrern

Lukas und Brigitte