Mittwoch, 9. Oktober 2013

Unser letzter Blog

Flug von Montréal nach Hamburg via Paris und Kopenhagen - Aufenthalt in Hamburg - Zurzach - Baden - Fehraltorf


Tschüss, es war extrem schön!

Es sei im Cämperli eng? Verglichen mit dem Flugzeug von Montréal nach Paris hatten wir in unserem Wohnauto Platz zum Versauen! Ich muss meine Arme an mich schmiegen, als würde ich frieren.  Auf meiner Schulter ruht weich der Kopf meiner wildfremden Sitznachbarin. Aber was nimmt man nicht auf sich, um ein paar €uros zu sparen!  In Paris wechseln wir nicht nur das Flugzeug, sondern auch den Flughafen und machen dann gezwungenermassen noch einen Umweg über Kopenhagen, mit Umsteigen. Und tatsächlich: In Hamburg empfangen uns wie angekündigt die Amstutz', unsere lieben Nachbarn!
Stimmung gut, Wurst und Brot gut, Bier gut:
Wir sind in Hamburg
                              
Nach zwei Jahren organisieren "und so" lassen wir uns noch so gern durch die Stadt führen. Wir müssen weder selbst herausfinden, wie das U-Bahnsystem tickt noch heraussuchen, was die Stadt Sehenswertes bietet. Und die knackigen Würste mit richtigem Brot um Mitternacht sind ein weiteres Highlight in Hamburg. Das Auslösen des Autos aus dem Hafen geht wohl mit deutscher Gründlichkeit, aber wahrhaftig ruck ruck zack zack und ist perfekt organisiert.
Erste Übernachtung in der Schweiz:
Einnachten am Laufen bei Zurzach
Nach zwei Tagen auf deutschen Autobahnen verlieren wir die dort aufgekommene kriegerische Stimmung im Zurzacher Thermalbad und beendeten die zweijährige Mandelgipfelpause. Jetzt  folgt der erste Wiedersehensschub: An der Geburtstags-party unserer 30jährigen Jüngsten  schliessen wir unsere drei Töchter in die Arme, aber auch ein paar Verwandte und ein Freundespaar empfangen uns hier - und das ohne vorherige Ankündigung!

Zuerst die eine...
Dann die andere...
... endlich sind unsere drei Töchter wieder bei uns!



Jetzt steht unser Merzli wieder am gleichen Standplatz wie schon einmal: Am Tisliacher 15. Dieser Ort ist durchaus zu empfehlen: An bisher keinem anderen Standplatz wurden wir mit Blumen und Willkomm-Karten so herzlich empfangen. Marianne, Walter und Vreni: Wisst Ihr überhaupt, wie gut das tut? 
Wirklich ein  schönes Heimkommen!




Einmal mehr beginnt ein neuer Lebensabschnitt: Das Pensioniertenleben. Der erste Teil dieses Abschnittes wird ausgefüllt sein mit Aufräumen: Der Inhalt der vielen  Schachteln im Abstellzimmer will wieder an seinen alten Ort, zusammen mit den tausend Sächeli aus unserem Cämperli. Aber wir werden vieles geniessen: Täglich 24 Stunden Trinkwasser ab Hahn, eine Waschmaschine, die den Kleidern nicht nur Waschmittelgeruch gibt, sondern sie auch wäscht, überall schweizerdeutsch plappern können, ...
Wir freuen uns.



Zum Abschluss etwas Statistik:
Dauer der Reise                                                       2 Jahre 2 Wochen 2 Tage

Gefahrene Kilometer                                                 92 300 + 4030 mit dem
                                                                                          Mietauto 
         Davon auf  ungeteerten Strassen                     18 000 km
Verbrannten Diesel                                                   9684 Liter
Durchschnittlicher Verbrauch                                    10,5  l/100 km
Höchster Punkt                                                        5'200 müM
Besuchte Länder (ohne Flugzeuglandungen)               23
Anzahl verschiedene Währungen                               16
Anzahl Tage mit mehr als 7 h Regen                          12  (!)
Verlorene Gegenstände                                             1 Kontaktlinse, 1 Portemonnaie, 
                                                                                     1 Zahn, 3 Schuhe
Gestohlene Gegenstände                                          0
Anzahl Ehekräche                                                    vergessen
Platte Reifen                                                            3
Geldverbrauch alles inkl                                            Süd-/Mittelam.  100.- Fr./Tag
                                                                               USA                   160.- Fr./Tag
                                                                               Kanada               >200.- Fr./Tag
Hotelnächte trotz verfügbarem Cämperli                      5
Arzt-/Zahnarztbesuche (zusammen)                           3/3
Vaterländische Durchfälle (Lukas/Brigitte)                   2/3
Gröbere Betrügereien                                                1
Behaltene Fotos (Lukas/Brigitte)                                9'000/13'000
Anzahl Steinschläge in Frontscheibe                          6 + 1 Sprung
Nächte auf Campingplätzen                                      Süd-/Mittelamerika 1–2 pro Mt.
                                                                              USA/Kanada         ca. 12 pro Mt.



Wir freuen uns, dass Ihr uns im Blog besucht habt. Noch mehr freuen wir uns, wenn Ihr uns jetzt in Fehraltorf besucht!

Lukas und Brigitte



Sonntag, 29. September 2013

Das andere Kanada


Halifax - Fundy Bay - Cape Breton - Louisbourg - 
Amherst - Kouchibouguac N.P. - Quebec - Montreal















Der Wechsel vom Reisen im Merzli zum Reisen im PW mit Schlafen in Motels und Verpflegung in Restaurants führt uns vor Augen, wie komfortabel wir die vergangenen zwei Jahre unterwegs waren. Das gemietete Autoli ist zwar spritzig wie ein junges Rennross, aber wir sitzen quasi auf der Strasse im Vergleich zum Übersichts-Hochsitz im Cämperli. Wir haben weder ein WC noch einen Kühlschrank bei uns noch können wir an den besten Aussichtslagen frühstücken. Dafür dürfen wir uns wundern, dass der Warmwasserhahn in den Motels hie und da auch rechts liegt, ja sogar die Gewindedrehrichtung ist nicht überall gleich! Und dank Hotel und Restaurants verschwinden die Banknoten fast so schnell wie sie aus dem Bancomat herauskommen.

Was brauchen wir für die Hotelferien?
Während der zwei Wochen durchstreiften wir den äussersten Osten Kanadas. Dabei wähnten wir uns oft und in vielen Beziehungen in England, später in Frankreich.
Die kleine Provinz Nova Scotia [nouwa sgouscha] ist nur um ein Viertel grösser als die Schweiz, und hat acht Mal weniger Einwohner. Jeder vierte lebt in der Hauptstadt Halifax.
Eine knappe Fahrstunde von Halifax entfernt treffen wir auf das Denkmal des Absturzes einer Swissairmaschine 1998 (wer wusste vorher schon, wo oder was Halifax ist?).

Der Gedenkort an den Absturz der Swissairmaschine bei Halifax mit Blick auf Peggy's Cove
Das Denkmal wurde an einer wunderschönen Stelle errichtet und ist ein viel besuchter Ort. Der Blick schweift auf den kleinen Touristenort (im Prospekt: Fischerdorf) Peggy’s Cove mit dem meist fotografierten Leuchtturm Nova Scotias. Die Küste mit seltsam abgeschliffener Felslandschaft lädt zum Strielen und Klettern ein.

Der Liebling aller Kameras ist der 
Leuchtturm in Peggy's Cove


Das gefällt Lukas




















In der Fundy Bay findet der weltweit grösste Tidenhub (bis zu 16 m!) statt. Diesen für einmal wirklich erwähnenswerten Weltrekord beanspruchen mindestens ein Dutzend Gemeinden ultimativ für sich. Ich stehe an einem Schiffssteg. Weit unter mir liegen die Boote im Trockenen. Ein Fortkommen mit den Booten, ja sogar das Einsteigen ist nur bei Flut möglich. In einem Flüssli kündigt sich die Flut mit einer Welle flussaufwärts an. In 1½ Stunden steigt der Flussspiegel um mehrere Meter.

Warten auf die Flut bis ins Schiff eingestiegen 
werden kann (sie stehen auf der Rückseite)
Nicht nur wir fühlen uns hier wohl. Praktisch rund um Nova Scotia tümmeln sich mehrere Wal-Arten. Ein besonders touristenfreundliches Exemplar führt uns seine Springkünste während etwa 5 Minuten vor. Immer wieder springt es in die Höhe und klatscht dann mit dem massigen Körper und den Schwanzflossen aufs Wasser. Lukas erinnert sich schaudernd an einen seiner „Ränzler“ vom Sprungturm – dem Wal hingegen scheint das wohl zu tun und zu gefallen.

Man springe mal mit 60 Tonnen in die Höhe!
Auch im stark bevölkerten Teil Kanadas (für Schweizer: im nicht unbevölkerten Teil Kanadas) wohnen die Leute in Einfamilienhäusern. Die kellerlosen Häuser sind meist  äusserst einfach gebaut. Die Dachsparren sind wirklich nur Dachlatten, die Ziegel drei Millimeter starke Dachpappenlappen, die Fenster nur einfach verglast. Aber der riesige Rasen ist stets tadellos geschnittenen und zeugt von fleissiger Düngung. Da hocken die Männer stundenlang auf ihren Aufsitzmähern – mir kommt es so vor, als seien sie aus dem Haus respektive vor der Hausarbeit geflüchtet. Kaum ein Gräslein steht krumm. Kein Strauch, keine Blumenrabatte, kein Gartenmöbel unterbricht die Grünfläche. Während wir uns im Norden über die Schrott- und Güselhaufen in den Gärten und neben den Häusern wunderten, ist hier alles gepützelt, für unseren Geschmack gar etwas verbünzelt. Die unzähligen Golfplätze mit bis zum Abwinken gepützelten Grünflächen sind erstaunlich gut besucht.

Rasen zum Abwinken


Wir wandern und geniessen die Küsten




Fish n' Chips ist hier speziell gut...

...und wird mit heissem Appetit gegessen

















Die letzten Tage unserer Reise verbringen wir in der Provinz Québec (40fache Fläche der Schweiz, gleich viele Einwohner, ¼ lebt in Québec oder Montreal). Eine besondere Lebensader ist der St. Lorenzstrom. 90% der Einwohner der Provinz Québec wohnen in dessen Bereich! Wir überqueren ihn an einer relativ schmalen Stelle (24 km!!) mit der Fähre. 

Abendstimmung auf der Fähre über den St. Lorenzstrom
Jetzt sind wir im französisch sprechenden Gebiet. Was für ein Unterschied zum englischen Kanada! Die Vorgärten sind kleiner, dafür blumiger. Bis heute meinten wir, dass wir leidlich französisch verstehen und auch sprechen. Das Québec-Französisch unterscheidet sich für uns bis zur Unkenntlichkeit vom normalen französisch und wir müssen dauernd nachfragen, weil wir die simpelsten Sätze nicht verstehen. Es ist tröstlich für uns – allerdings auch mühsam – dass dafür unser Französisch von den Québecanern auch nicht verstanden wird.

Die Strassen in die Stadt sind verstopft, der Verkehr ist kriechend. Es wird weniger amerikanisch-freundlich gelächelt, dafür mehr europäisch gedrängelt. Am Ankunftsabend flüchten wir nach einer Stunde Stausteherei ins nächste Hotel – egal, dass es mit einigen teuren Sternen dekoriert ist. Die seit zwei Jahren stauentwöhnten Nerven lassen sich in der Bar bei einem grossen „pression“ besänftigen und der knurrende Magen im danebenliegenden Restaurant zum Schweigen bringen. 

Französisches Frühstück mit Buttertoast....


Lukas steigt ins Fasadengemälde
Anderntags schlendern wir durch die schönen Strassen und Gassen, geniessen den Ausblick auf die untere Altstadt und den St. Lorenzstrom, wo gerade zwei grosse Kreuzfahrtschiffe anlegen. Der französische Charme, das Savoir vivre erkennen wir in der Altstadt Québecs sofort. Boulevard-Beizli ersetzen die Fast Food-Tempel, wunderbare Menüauswahl, Wein und knusperiges Baguette sind unverkennbare Merkmale. Nicht allein die Quantität gibt den Ton an, auch Qualität wird zelebriert.  Québec mit dem überwältigenden französischen Charme würde einen mehrtägigen Besuch rechtfertigen.
Unsere langen Fahrten führen auch durch farbenprächtige Wälder. Die Rot-Gelb-Braun-Orange-Grüntöne präsentieren uns den Indian Summer.

Indian Summer
Montréal statten wir nur einen Blitzbesuch ab. Die riesige Stadt mit schnellem und dichtem Verkehr zeigt in kleineren Strassen, Fussgängerzonen, auf den Fressmeilen und den Ausgeh-Vierteln aber auch seine gemütlichen Seiten. Viele Strassenkünstler versuchen ihren Lebensunterhalt zu erspielen. Wir schlendern durch die Strassen und Gassen, geniessen den Blick und das Treiben am alten Hafen. Auch hier ist das Französisch gleich unverständlich wie in Quebec


Brücke über den St. Lorenz-Strom in Montreal

Auch in Montreal ist das Flanieren toll
Heute besuchen wir noch den berühmten Botanischen Garten und steigen dann abends ins Flugzeug. Nach 22 Stunden und zweimaligem Umsteigen werden wir in Hamburg landen. Ob wir dort wirklich unsere Freunde, die Amstutz', sehen werden?
Unser letzter Blog wird von den letzten Reisetagen handeln und eine statistische Zusammenfassung unseres Reislis beinhalten.


Wir freuen uns mit mehr als einem lachenden Auge auf zu Hause!

Brigitte und Lukas



Freitag, 13. September 2013

5000 km ostwärts

Calgary – Winnipeg – Thunder Bay – Highway 11 – 
Niagara Falls – Toronto – Montreal – Québec – Fredericton – Halifax

Kanada ist nach Russland das zweitgrösste Land
Beachte den Massstab!

Während knapp drei Wochen fuhren wir also ostwärts durch ganz Kanada, durch vier Zeitzonen und zwei Sprachgebiete. Jetzt können wir über Kanada so absolut fundiert berichten wie ein Japaner über Europa, der diesen Kontinent in der gleichen Zeit diagonal durchrast...
Aber einige subjektive Eindrücke vom zweitgrössten Land der Welt haben wir doch abgespeichert.
Schon an einem der ersten Tage werden wir mit drei weiteren Weltrekorden beglückt: Wir sehen die weltgrösste Dinosaurierskulptur (gemäss Reiseführer), wir gehen über die längste Fussgängerbrücke der Welt (gemäss Hinweistafel), und wir haben die scheusslichsten Donuts der Welt auf dem Esstisch (selber herausgefunden).
Weltrekord 1
Weltrekord 2



















Weltrekord 3








Zwischen dem lebendigen Calgary und dem rasend schnell wachsenden Toronto unterbrechen nur die Getreidesilo-Stadt Winnipeg und Thunder Bay die unendlichen, fast menschenleeren Ebenen. Tagelang fahren wir auf pfeifengeraden Strassen, die sich wie ein Bleistiftstrich am Horizont verlieren; durch Getreidefelder, nur durch Rapsfelder unterbrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Farmern in diesem mittleren Teil Kanadas interessant ist: Jeder Farmer betreibt extreme Monokultur, d.h. er sitzt jeden Tag auf der Maschine. Entweder zieht diese den Pflug, die Egge, die Sähmaschine oder die Giftspritze. Dann darf der Farmer auf den Mähdrescher wechseln. Tiere beherbergt die Farm keine. Finanziell scheint das ganze auch nicht so interessant zu sein: Die Farmhäuser sind alles andere als behäbig, und für's Wegräumen der in den letzten Jahrzehnten ausrangierten Maschinen und Autos scheint das Geld und die Zeit zu fehlen...


Während zwei Tagen fahren wir durch einen Landesteil, wo „gar nichts ist“. Einige wenige grasende Kühe sind schon bemerkenswert, die sehr bescheidenen, nicht isolierten Häuschen mögen wohl Langzeitarbeitslose beherbergen. Die Sperrgutabfuhr scheint nie vorbeizukommen.
Halt! Da waren noch die äusserst interessanten Hoo-Doos in einem Canyon
Das dunkle Band sind Kohlenflöze

Um Toronto kommen wir in eine andere Welt! Ich erinnere mich an die Aussage eines Nordamerikaners: „Wir haben alles, das Schlechteste und das Allerbeste.“ Der stockende Verkehr auf der zwölfspurigen Autobahn mitten durch dichtest besiedeltes Gebiet möchte einen glauben machen, Kanada sei massiv überbevölkert. Das freundlich-tolerante Verkehrsgebaren wechselt zum Kampf um Autolängen. Am Seeufer finden wir prächtige Flanieranlagen, trendige Cafés laden für eine Pause ein, gigantische Einkaufszentren hauen auch verwöhnte Schweizerinnen aus den Socken. Weit über ein Dutzend Wolkenkratzer sind im Bau, der Bauherr ist den Fassaden nach ganz sicher nicht das Amt für sozialen Wohnungsbau. Auch die Preise für eine Stadtrundfahrt, für die Turmbesteigung, für einen Snack sind durchaus über dem gewohnten Denken eines Schweizers.
Die Hochhäuser wachsen schneller als Gras
Nicht menschenleer wie eine normale nordamerik. Stadt
























Seit ich in der Volksschule das erste Mal über einem Atlas brütete, wollte ich die Niagarafälle sehen. Und schon immer wollte ich in einem Helikopter fliegen. Und jetzt könnte ich die Fälle mit den unermesslichen Wassermassen aus einem Heli bestaunen! Also, nichts wie los, wie heisst es in der Werbung? „Einiges kann man nicht kaufen, für alles andere gibt's die Visa-Karte“.
Winkewinke!
Der Arnold am besten Platz





























Diese Wucht! Dieses Tosen!

Zum Wassrfallkontakt bereit!





Ebenso eindrücklich wie der Panorama-Flug, wenn auch ganz anders, war die Schifffahrt ganz nahe an den Hauptfall. Welch unvergesslicher Sound, welche entfesselte Gewalt! Die tobende Gischt hatte leichtes Spiel, unsere Regenpellerinen zu überlisten. Bei der Attraktion „Sehe die Fälle von hinten!“ kam mir die oben zitierte Aussage über das Beste und Schlechteste in den Sinn: Durch jedes Felsfenster sah ich nicht mehr als das gleichmässige Grau wie durch ein starkes Milchglasfenster. Der 4D-Film über die Entstehung der Fälle hingegen zeigte, dass Kanada weiss, was Technik ist. Echtes Schneegestöber und eisige Böen fehlten so wenig wie Erdbeben.

Ein Freilichtmuseum gibt uns eine willkommene Fahrpause. Die aus der weiteren Umgebung hergeschafften Gebäude liessen uns die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durchstreifen. Alles erscheint verblüffend echt. Der beachtliche Ranzen des Sägers passt herrlich zu seinen Sackhosen, der Bäcker trägt eine Schürze, die den heutigen Lebensmittelvorschriften ganz bestimmt nicht genügt, der Schmied dürfte gern mal einen Tag seine Werkstatt aufräumen, die ausgestopfte Lehrerin steht zu unserem Erschrecken plötzlich auf, zeigt mir ihren Tatzen-Lederriemen, referiert über feet, yard und acres und beklagt sich über ihren mickrigen Lohn. Der vollbärtige Rossknecht hat alle Zeit der Welt, um das Pferd saufen zu lassen.
Elternarbeit, Teamsitzungen, Schülermitsprache, ... Sie machte es ohne.

So oft bewahrheitet sich die zitierte Aussage, dass Kanada das Beste und Schlechteste habe. Einerseits fühlen wir uns im Land des Reichtums und der Technik, andererseits in einem Entwicklungsland. Je ein Beispiel: Ich lasse in einer Vertrauen erweckenden Pneu-Garage die Räder diagonal wechseln und auswuchten. Als ich sehe, dass der Arbeiter das Auto auf vier Schemel aufbockt, frage ich ihn, warum er nicht einen der beiden Lifte benütze. „Ja glauben Sie, einer der beiden funktioniere?“. Ich fahre aus der Werkstatt an Industriebauten vorbei, die problemlos für die Vergabe des Architektenwettbewerbes „schönster Zweckbau“ nominiert werden könnte.

In einigen Beziehungen ist Kanada einem Entwicklungsland recht ähnlich

Hier im Osten, in den Provinzen New Brunswick und Nova Scotia, kommen wir uns wie in England vor. Die Rasen vor den properen Häuschen sind kurz und gepflegt, die Städtchen mit kleinen Ladengeschäften bestückt, rabattengesäumte Gehwege und schmiedeiserne Verzierungen sind häufig. Aber wer von Portugal über Skandinavien nach Polen reist, sieht ja auch verschiedenste Bau- und Wohnstile.

Heute werden wir unser Cämperli im Hafen von Halifax auf die Heimreise schicken. Wir werden ein Mietauto übernehmen und uns noch weitere zwei Wochen in Nova Scotia und New Brunswick umschauen.

Liebe Grüsse aus dem täglich herbstlich-bunter werdenden Osten Kanadas

Lukas und Brigitte









Sonntag, 25. August 2013

Goodby Alaska


Whitehorse – Watson Lake – Telegraph Creek – Hyder – New Aiyansh – Terrace – Prince George – Jasper – Banff - Calgary














Wir pausieren an einem wunderschönen See mit zig Inseln, frühstücken und werweissen, ob wir gleich einen Tag hier verbringen sollen. Als Kompromiss entscheiden wir uns, ein Kanu zu mieten. Ich muss über viele, sogar den eigenen Schatten, springen, um etwas Begeisterung zu zeigen. Ist das schmale Boot nicht extrem wackelig und erfordert beim Rudern schwieriges Teamwork? Beim Dahingleiten über das ruhige Wasser überfällt mich aber echte Begeisterung. Wir fahren an Biberbauten und Inselchen vorbei, durch Seerosen und Binsen. Der See ist so klar, dass wir bis zum Grund sehen können. Ich habe dazugelernt: Kanukfahren in ruhigem Gewässer macht Spass. Den Schweiss werden wir bei einem Schwumm im erstaunlich wenig kalten See los.

Immer schön dranbleiben
Der Name Telegraph Creek lockt, wir folgen der 130 km langen Piste durch Wald. 

Immer schön Bremsbereitschaft halten: Schneehühner und Bären latschen (wenn man Glück hat) einfach auf die Piste
Schneehühner mit ihren Kleinen weichen kaum von der Strasse, da ein Fuchs und dort ein Bär erfreuen unsere Gemüter. Das Pistenfahren macht uns jedes Mal Spass, vor allem wenn die Piste wie diese nach eher langweiligen Kilometern plötzlich durch Schluchten und  an Berghängen entlang führt. Wir befinden uns in Indianergebiet,  es gelten besondere Rechte. Fischen darf nur, wer Indianer ist oder aber über eine spezielle, schriftliche Erlaubnis verfügt; der Fang muss nach Menge und Art protokolliert und gemeldet werden. Die Indianersiedlung steht unter einem riesigen, beeindruckenden Basaltfelsen und ist für Weisse Tabuzone.

Beim Indianerdorf überfällt mich einfach die Ehrfurcht
Die Piste führt weiter nach Glenora. Du weisst nicht, wo Glenora liegt? Der Ort ist gross in unserer Karte eingezeichnet, die Piste führt grandios weiter über Felsbänder. Wir überlegen, ob wir dort den Frischwassertank auffüllen wollen. Nun, das ist Glenora: Eine Hinweistafel, dass 5 km ausserhalb ein Haus Bed & Breakfast anbietet, aus drei aus dem Wald gehauenen Parkplätzen, welche privat sind und somit nicht mal gedanklich belegt werden dürfen, aus einigen vergammelten Picknicktischen, einem verstorbenen WC-Häuschen und einem breiten, wunderbaren Fluss mit grosszügigen Steinufern. Gut, dass wir nicht dringend Frischwasser brauchen! Lukas versucht sein Petriheil. Wir verbringen einen wunderbaren Nachmittag am Flussufer und sind froh, dass wir dank unseren Vorräten nicht auf den Fischfang angewiesen sind.

Bei dem feschen Aussehen verzeiht man die erfolglose Fischerei

In Hyder,  an einem Fjord des Pazifiks gelegen, hat es einen Steg, um Lachs fischenden Bären zuschauen zu können.  Im Bach sind Lachse  in Hülle und Fülle: sie alle streben mit ihrer ganzen Kraft dem einen Ziel zu: Ihren Geburtsort auf weniger als 50 m zu erreichen, dort zu laichen oder zu befruchten (und dann zu sterben). Dafür überwindet er alle Hindernisse: Stromschnellen, Treppen, seichte Stellen und viele hundert Kilometer, um an den exakten Ort seiner Geburt zurückzukehren. Vorher laicht der Lachs nicht. Das Geheimnis, wie er diesen Ort nach zwei Jahren im Pazifik wieder findet, weiss nur er. Es ist ein weiteres Wunder der Natur, über deren Enträtselung die Wissenschaft nur mutmassen kann.

Eigentlich wollte Lukas die Lachstreppe fötele, als die Bärin plötzlich auftaucht und sich entschlossen nähert
Ein unerwartetes und freudiges Wiedersehen mit Dorothea und Karl überrascht uns. Sie schlagen vor, den Abend und die Nacht unmittelbar neben dem Salmon Gletscher mit ihnen zu verbringen. Der 35 km lange Weg dorthin wurde für die Minenarbeit gebaut; Touristen dürfen die Piste aber benützen. Entlang dem Salmon River liegen bizarr Eisschollen auf dem breiten trockenen Kiesflussbett. Nach mehreren Tagen über 20°C überrascht uns dieser Anblick. Die Lösung: Mitte Juli bricht jeweils der Eisdamm des unterhalb des Gletschers liegenden Sees, weil das Schmelzwasser und die darin schwimmenden Eisabbrüche des Gletschers diese Barriere wegdrücken und dann eine Flutwelle aus Wasser und Eisschollen zu Tal donnert. Der Pegel des Salmon Rivers steigt um einen Meter an; die riesigen Eisschollen bleiben nach dem Sinken des Wasserstandes auf den Kiesbänken liegen und schmelzen nur langsam. 

Wer will ein Eis?

Dank dem Hinweis von Dorothea und Karl erleben wir einen wunderbaren Abend mit grandioser, unmittelbarer Aussicht auf die Gletscherwelt. In der Nacht sind bloss die Geräusche der Gletscherabbrüche zu hören, ansonsten herrscht Stille, Alaska-Stille. 

Krachendes Gletschereis
Salmon Gletscher
Über eine 100 km lange Piste (ob dies jetzt die wirklich letzte Piste war?) fahren wir nach New Aiyansh. Die Indianersiedlung (Old) Aiyansh wurde vor 250 Jahren durch einen gewaltigen Vulkanausbruch vernichtet. Ein mit Flechten überzogenes Lavafeld von 22 km Länge, 3 km Breite und bis zu 12 m Mächtigkeit begrub das ganze Dorf. Noch heute sind die im wieder aufgebauten (New) Aiyansh lebenden Indianer überzeugt, dass der Vulkanausbruch die Strafe für die tierquälenden Kinder war (diese sollen Fischen zum Spielen die Rücken aufgeschlitzt haben). 

Mystische Stimmung über dem Lavafeld
Das regnerische Wetter vernichtet unseren Plan, eine der schönsten Routen Kanadas, die Stichstrasse nach Prince Rupert, zu fahren.  So tuckern wir südostwärts. Bei einer Indianersiedlung ist der Lachsfang in vollem Gange. Die Indianer haben hier das  staatlich bewilligte Privileg, den Lachs mit einer Art Lanze zu fangen. Aber die Urbevölkerung stellt auch hier das Einfachere über das Traditionelle: Mit riesigen Keschern schöpfen sie die flussaufwärts strebenden Lachse ab. An der sehr engen Flussstelle, am Fuss eines kleinen Wasserfalls, wo die springenden Lachse zig mal Anlauf nehmen müssen, ist das ein Kinderspiel. Die männlichen Lachse werden wieder in den Fluss, die Weibchen in eine Wanne geworfen. Den Laich verarbeiten die Indianer zu rotem Kaviar und den Fisch räuchern sie. Wir kaufen zwei himmlisch schmeckende geräucherte Fische – die Preise sind zwar auch nicht mehr traditionell - und verabschieden uns vom interessanten Ort.


Wieso auch mit dem Speer fischen, wenn der Kescher gleich eine Handvoll Fische bringt?
Noch weiter östlich sind die Holzverarbeitungsfabriken zu Hause. Wir dürfen ein Sägewerk besuchen. Ein Gabelgreifer wirft die Baumstämme in einen Kanal, ab dann läuft die Prozedur bis zum fertigen Brett oder Latte vollautomatisch. Auf Förderbändern werden zuerst die Baumstämme abgelängt, dann grob geschält und auf einem weiteren Förderband zum Zuschnitt gejagt. Der Computer berechnet nach dem Abscannen von jedem Stamm die abfallgeringste Nutzung. Am Ende bleibt das  elektronische Sortieren und Verpacken. Wir werden durch die Verarbeitungsstrasse geführt, wobei wir auch Kontrollkabinen besuchen dürfen. Dort sitzt ein Augenpaar in einer 8-Stundenschicht vor Bildschirmen, um allfällige Störungen weiterzumelden. Der Betrieb beschäftigt 230 Personen in zwei Schichten während fünf Tagen pro Woche. Als die Wirtschaft in den USA  besser war, beschäftigte das Sägewerk 3 Schichten an 7 Tagen. Aber ein verarbeiteter Baumstamm pro Sekunde gibt immer noch recht viele Bretter und Latten...

In Prince George treffen wir überraschend wieder Jeannette und Fredi aus Fehraltorf. Bis spät in die Nacht hinein jassen wir und vernichten Weisswein. Das Paar hat die Reise nach Südamerika noch vor sich. Sie planen, sich sehr viel Zeit dafür zu lassen.

Dank dem Nationalpark-Pass von Fredi und Jeannette geniessen wir den Jasper- und Banff Nationalpark gleich während mehreren Tagen. Das Wetter ist prächtig, nach dem Juni-Unwetter sind alle Strassen wieder offen. Mit Banff lernen wir Kanadas St. Moritz  kennen. Der Ort  liegt wunderbar zwischen Bergen, hat heisse Quellen, mit dem Fairmont Banff Springs eines der nobelsten Hotels Kanadas, Bike- und Wandermöglichkeiten im Engros-Angebot.

Die Nobelherberge Fairmont Banff Springs
Ich fahre zwischen den Stretchlimousinen mit dem Velo beim Haupteingang vorbei
Da wir nun ausserhalb der Hauptsaison hier sind, nahmen wir die Notiz im Reiseführer, dass die Campingplätze praktisch immer und am Wochenende stets ausgebucht seien, nicht mehr ernst (wild zelten ist in Nationalparks verboten). Beim dritten Anlauf hat’s denn aber geklappt. Wir weilen nun mitten im Wald mit toller Feuerstelle, sodass wir gleich ein Spar-Ribs kaufen und den Grill benützen. Aber in St. Moritz und in Banff ist alles teuer! Wir bezahlen für das Feuerholz täglich fast 9 Franken extra, was wir bei der Frage, ob wir eine Feuerstelle wünschen, nicht gemerkt haben. Normalerweise ist das Feuerholz, weil Grundbedürfnis, in Kanada im Campingpreis inbegriffen. Die Folge des teuren Holzes ist, dass alle Leute sich vom Holzvorrat üppig bedienen und auf Teufel komm raus feuern. Jeder Abend scheint ein 1.August-Abend zu sein!

Wir haben jetzt also Alaska verlassen und werden Kanada im Eilzugstempo durchqueren. In drei Wochen wird das Merzli in Halifax an der Ostküste in einem Schiffsbauch verschwinden und in den letzten Septembertagen in Hamburg wieder an Land gespuckt. Unsere Gedanken kreisen oft um die Heimreise, ums Daheimsein und um das Leben nach der Reise. Wie wird es wohl sein, pensioniert zu sein, nie mehr Ferien zu haben, keinen Nachtplatz mehr zu suchen, die Wäsche einfach in die Maschine zu stopfen, Wasser ab dem Hahn trinken zu können? Müssen wir einander nach zwei Jahren im Merzli im grossen Haus suchen? Weiss ich noch, wie mit Backofen und Geschirrspüler gehaushaltet wird? Wird Lukas wieder andere Schuhe als Latschen tragen?
Eines weiss ich: Ich freue mich unglaublich, Euch wieder zu sehen!

Liebe und herzliche Grüsse
Brigitte und Lukas