Sonntag, 29. Juli 2012

Zurück nach Chile














Nach sieben Tagen (Brigitte gar 20 Tagen) intensivem Sprachunterricht in Sucre spreche ich natürlich praktisch akzentfrei spanisch. Schade an der ganzen Sache ist nur, dass so viele Bolivianer so unverständlich sprechen und ihre Muttersprache – von mir eben sozusagen perfekt gesprochen - nur mühsam verstehen...

Nach 32 Tagen in Sucre (inkl meinem Kurz-Reisli in die Schweiz) freuen wir uns gewaltig aufs Weiterreisen. Eine ausgedehnte Fahrt übers Altiplano soll uns über den 4666 m hohen Chungara-Pass in Chiles nördlichste Stadt, Arica, führen.
Wie sieht ein solcher Reisetag aus? Lasst mich den zweiten Tag beschreiben:
Unser Auto steht im Innenwinkel zweier Mauern eines ausgedienten Gebäudes, deshalb ist die Nachttemperatur halbwegs christlich: Im Auto 3° plus, im Freien ein paar wenige Grad unter dem Gefrierpunkt. So war der Entscheid, die Wasserleitungen im Auto nicht zu leeren und somit heute fliessend Wasser zu haben, nicht falsch. Morgens sieben Uhr ist es aber zum Weiterschlafen zu kalt, zum Aufstehen jedoch auch. Also hören wir vorerst einige Kapitel aus einem Hörbuch.
Eine Stunde später gibts einen kurzen Kafi und dann schnell abfahren, damit die Heizung unsere kalten Füsse trösten kann.
Oruro ist gemäss unserem Reisebuch nichts besonderes. Das GPS ist offenbar anderer Meinung, es meint, uns wie bei einer Stadtrundfahrt durch alle Strassen und Strässchen jagen zu müssen. Die vielen Hundgegangs haben während der Nacht ganze Arbeit geleistet: Zahllose Kehrichtsäcke haben sie aufgerissen und deren Inhalte grossräumig verteilt.
In Bolivien ist Diesel für Ausländer dreimal so teuer wie für Inländer. Wenn man beim Tankwart aber ausdrücklich keine Quittung verlangt, ist er bereit, ein Auge zu- und (s)eine Tasche aufzumachen. Um meine Sprachkenntnisse zu praktizieren, versuche ich, von halbe-halbe auf ¼ - ¾ herunterzumarkten.
Nach der Stadt fahren wir auf pfeifengerader alter Teerstrasse durch Ödland. Das Land scheint wertlos zu sein: Die sich im Bau befindende neue Strasse wird einfach 100 m neben der alten erstellt.
Im nächsten Städtchen ist ein enormes Gewusel, die Strasse und alle Plätze sind komplett überstellt: Es ist Markt, vor allem wird Vieh gehandelt. Kein Mitglied eines schweizerischen Tierschutzvereins könnte intervenieren, jedes wäre schon beim ersten Anblick vom Schlag getroffen tot umgefallen: Lamas werden im Minibus und auf dessen Dach transportiert, auf der Führerkabine eines Lastwagens (die Ladebrücke ist für menschliches Transportgut reserviert) sind Rinder so hingebunden, dass der Metzger kaum mehr Arbeit haben wird. Der Anblick der Frauen in ihren unzähligen Röcken und den obligaten, scheinbar viel zu kleinen Zylindern lenkt mich von dieser Tragödie ab.









Man beachte das Transportgut auf dem Dach











Ein Strassenschild – hört hört: Ein Schild!! - nach Eucaliptos lässt uns die wenig interessante Hauptstrasse verlassen und den kürzeren, aber zeitlich sicher längeren Weg wählen. Wir erfreuen uns an den „Flickenteppichen“: Unzählige kleine Äckerlein an den Berghängen zeugen vom Fleiss der bolivianischen Landbevölkerung.

Die Piste verliert sich im nächsten Dorf zwischen den Lehmziegel-Häusern. Ohne Fragen geht nichts mehr, ein Señor erklärt uns den Weg freundlichst und beispielhaft umständlich.
Hunger! Inmitten einer Grasbüschelebene machen wir eine stündige Zmorge-Pause. Das Wetter ist fantastisch und für diese Gegend offenbar „normal“: Stahlblauer, absolut wolkenloser Himmel, kaum Wind, etwa 16° im Schatten, an der Sonne herrlich warm.
Das nächste Dorf auf rund 4000 m erreichen wir auf erstaunlich guter Piste. Sie führt direkt auf den Dorfplatz. Zwei Hunde und eine kräftige Muttersau heissen uns ungestüm willkommen.
Auch in Totora führt die Piste auf den Dorfplatz. An jeder Ecke führt eine Piste weiter. Eine Frau mit zu einem U zusammengebundenen und mit Gewichten bestückten Zöpfen weist geradeaus, ein herbeigeeilter Mann jedoch nach rechts. Das GPS ist auch keine echte Hilfe: Es meint lakonisch: Offroad. Wir verlassen uns auf den Kompass und auf den von weitem grüssenden 6540 m hohen Sajama mit seinen zwei ebenfalls schneebedeckten Vasallen.


Die Nachmittagspause verwenden wir nebst Kaffeetrinken dazu, uns mit dem neuen Fotoapparat resp. seiner Elektronik vertraut zu machen. Die 1001 Möglichkeiten begeistern uns, allerdings fordern die dicke Gebrauchsanleitung und die beinahe grenzenlose Elektronik unsere Geduld und unsere Lernbereitschaft. Hoffentlich bemerkt Ihr an der Fotoqualität den neuen Apparat!

Einige sehr seltsame Steingebilde fesseln unsere Aufmerksamkeit besonders. Wir ziehen die Wanderschuhe an und machen uns auf den Weg zu ihnen. Sie stehen neben einem riesigen Felsriegel, der wie eine ausgewaschene Küste, mit Spritzbeton verstärkt, aussieht. Sind das etwa alte Gräber? Die vielen herumliegenden bemalten Tonscherben lassen vermuten, dass wir uns in einer alten Kultstätte befinden.


















































In einer knappen Stunde, um 18h15, wird es dunkel sein. Wir finden einen geeigneten Nacht-Standplatz auf einer ausgedienten Seitenpiste. Das GPS zeigt „nur“ 3950 m an, die Nacht sollte also nicht allzu jämmerlich kalt werden (diese Annahme erwies sich im Nachhinein als katzfalsch).
Wenige Tage später haben wir das herrliche Altiplano durchquert, vorbei an Thermen und Lamaherden, zwischen weissstrahlenden 6000er Vulkanen hindurch, mit einer Wanderung durch den welthöchsten Wald (!) auf 5000m Höhe, über Bächlein und Salzpfannen, vorbei an einem räuchelnden Vulkan, und sind über den Chungarapass auf 4666 m zum chilenischen Arica am Meer abgestiegen.
























































Von dort grüssen euch ganz herzlich
Lukas und Brigitte

Sonntag, 15. Juli 2012

Sucre

Für Bolivien liegt Sucre nicht besonders hoch - nur 2800 müM
Unser Merzli und ich sind in diesem Garten gut aufgehoben
Es gab Leute, die sich bei uns erkundigten, ob sich nicht hie und da der „Arnoldcholler“ einstelle.  Wir verneinten dies damals und können das auch heute noch. Lukas’ Heimreise konnte eventuell den Gedanken aufkommen lassen, dass er in die Schweiz geflüchtet sei und ich mich im Merzli breit gemacht habe. Nichts davon ist wahr, aber trotzdem, eine Pause tut gut. Pause vom steten Rumreisen, Pause vom nie Alleinsein, Pause vom Entscheiden nur zu zweit....
Während Lukas in der Schweiz herumsprang, nutzte ich diese Pause für Spanischlektionen; um Sucre etwas kennenzulernen, und vor allem, um mich auszuruhen. Die Berufstätigen dürften kopfschüttelnd fragen, wovon ich mich denn ausruhen müsse: Reisen kann ganz schön anstrengend sein und füllt alle Sinne, bis sie zu überlaufen drohen und nichts mehr rein passt. 

In einer Strasse von Sucre






Sucre gefiel mir auf Anhieb gut. Zwischen sanften Hügeln ist die mit gut erhaltenen Gebäuden aus der Kolonialzeit ausgestattete Hauptstadt Boliviens ein Juwel und der ideale Ort zum Verweilen. Obwohl Hauptstadt, sitzt die Regierung in La Paz, was wahrscheinlich die Stadt noch gemütlicher macht.
Auf der Strasse zur Schule wischen die Bewohner jeden Morgen vor den eigenen Türen das Trottoir. Dieses gehört zum Haus und ist deshalb je nach Hausabschnitt mit mehr oder weniger schönen Platten belegt. Es folgt nach einem (bolivianisch) perfektem Abschnitt z. B. ein solcher ohne Platten – blosse Erde – dann ein Abschnitt mit zerbröckelnden Platten. Ich schätze das tägliche Wischen, denn die Abschnitte der weniger pflichtbewussten Bewohner sind überstreut mit Hundekegeln, den Zeugen der nachts streunenden Hunde. Natürlich sei das tägliche Wischen vor der Haustür auch als Kommunikationsmittel zu verstehen, meint mein Lehrer.

Die Schule
Mein Ausblick während der Paus















Während der Abwesenheit von Lukas besuchte ich am Wochenende eine Hazienda. Diese war früher gross, reich, wichtig und in spanischem Eigentum. Nach der x-ten Agrarreform (wie in allen Ländern Südamerikas) verlor die Hazienda viel Land, konnte deshalb kaum noch bewirtschaftet werden und verlor an Bedeutung. Heute führt die Tochter (Professorin für Sprachen,
wohnt in Sucre) Touristen hin, kocht mit ihnen, führt sie durch das kleine Dorf, wo jede Frau zu Hause einen Webstuhl hat, und erzählt von der Zeit, als die Hazienda voller Leben war. Noch heute werden die Felder bestellt; Arbeiter zu finden, sei jedoch schwierig, da die Leute lieber in der Stadt wohnen und sich nicht für andere den Rücken krümmen. Ich meine: Alles eine Frage der Lohnhöhe.


In der Hazienda dreht sich alles um die warme Küche

Am nächsten Tag besuchte ich den Sonntagsmarkt in Tarabuco. Diese Gegend ist berühmt für Webe- und Strickarbeiten. Farbenfroh und vielfältig werden tausende von Souvenirs präsentiert. Aber auch gebrauchte Betttücher aus Schafwolle werden verkauft, weil die Familie unbedingt Geld braucht.

Sonntagstracht für Männer in Tarabuco
Die Freude über die Rückkehr von Lukas liegt nicht nur in den mitgebrachten Leckereien (Appenzellerkäse und Schoggi). Wir haben uns beide darauf gefreut, die Abende wieder gemütlich im Merzli zu verbringen, weiterhin Neues zu entdecken und zu erfahren.  Allerdings lassen wir uns nochmals eine Woche Zeit in Sucre. Unser Spanisch ist ja noch recht ungeschliffen und einige Lektionen mehr werden dem hoffentlich etwas abhelfen.
Die gestrige Tageswanderung zeigte uns, dass wir etwas eingerostet sind. Sie führte durch eine fantastische Landschaft, ausgetrocknet, wild und einsam, und so rückten unsere Wehwehchen bald in den Hintergrund.

Ganz schön wackelige Angelegenheit; ein genialer Schlusspunkt der Wanderung

Der private Platz, wo unser Merzli Gastrecht hat, ist seit gestern Abend ohne andere Reisende. So sind wir wieder ganz allein. Wir geniessen die Ruhe, den schönen Platz nahe des Stadtzentrums und die Zeit.
Ende der Woche werden wir nochmals übers Altiplano fahren und dann bestimmt unsere Bettflaschen brauchen, zehn Stunden im warmen Bett verbringen und heisse Suppe mit Chili kochen, damit es auch in unserem Innern so richtig einheizt.

Wir grüssen herzlich

Brigitte und Lukas