Samstag, 19. November 2011

Schifffahrt 2

Hamburg - Antwerpen - Le Havre - Dakar - Freetown - Rio de Janeiro - 
Sao Paulo (Santos) - Montevideo -  Buenos Aires

Von 55° N bis 35° S wechselt 
das Klima spürbar!
Huere schön!  

















Grad vorneweg: Auf dem Schiff wurden während den 35  Reisetagen unsere geringen oder die schlimmen oder schlimmsten Befürchtungen nicht nur nicht bewahrheitet, sondern standen im Widerspruch zur Wirklichkeit. Seekrankheit? An der französischen Westküste bekamen wir eine kleine Ahnung, was das sein könnte, seither aber ist das Meer handzahm wie eine verbibäbelete, vollgefressene Katze. „Langeweile“ müssen wir bereits im Wörterbuch nachschauen, um uns zu erinnern, was das bedeutet. Schmutz? Man gewöhnt sich an alles, die Erfindung des Kärchers ist dem Schiffspersonal bekannt, und Zugang zu Putzmaterial und Waschmaschine ist rund um die Uhr garantiert. Enge? Unsere Koje ist wohl fensterlos, aber deutlich grösser als eine Telefonkabine. Wir haben sie zum Ort des Schlafens degradiert und halten uns auf den offenen Decks oder in der Offiziersmesse (konfessionsneutral!) auf.
3 Mal täglich wird ein Zeit-Ankerpunkt gesetzt

Um nicht unkonventionell zu werden, kommen wir jetzt aber endlich auf die zwei üblicherweise wichtigsten Reisebericht-Inhalte zu sprechen: Essen und Wetter.
Die Mahlzeiten bilden das Grundgerüst des Tages. Unverrückbar treffen wir 11 Passagiere uns dreimal zur gemeinsamen Hüft- und Bauchverstärkung. Jesus, der Koch, ist nicht ganz so schlank und gütig wie sein berühmtester Namensvetter, gibt sich aber Mühe, konsequent für Philippiner und Europäer, für Moslems und andere, für hungrige und nur für Glüstende, dreimal eine mindestens lauwarme Mahlzeit bereitzustellen. Seine Überzeugung, alle hätten eine abgrundtiefe Abneigung gegen jegliche Gewürze und Kräuter, kann ihm niemand ausreden. Wir schätzen das Selbstbedienungssystem, das erspart uns Bohnen schon zum Zmorge oder täglich dreimal Reis, Pommes frites und Stock... Und rund um die Uhr ist erlaubter Zugang zum Kühlschrank mit Aufschnitt und Confibrötli-Zutaten.
Dass wir zwei beide Engel sind, wissen wir schon lange; dass der Spruch „Wenn Engel reisen...“ wahr ist, erst seit unserer Schifffahrt. Von Hamburg bis Portugal war das Wetter windig und herbstlich kühl, geregnet hat es aber nur in Antwerpen. Ab Gibraltar wurde es rasch warm und wärmer bis zumbuchstäblich tropischen Klima. Über Mittag war während vielen Tagen wahrhaftig nur genau unter den Fusssohlen Schatten, und wer wollte, konnte sich mühelos innerhalb weniger als einer Stunde einen neonrotleuchtenden Sonnenbrand zulegen.

Ein Gewitter ist ein Erlebnis
Zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo ist der Wendekreis: Fertig schwitzen, fertig mit seichwarmem Poolwasser. Aber kalt ist's noch lange nicht, auch wenn hie und da die Dienste eines Pullovers wieder gefragt sind. Die Sonne spielt mit der Reflexion auf dem Wasser. Das gibt dem Meer eine Farbe, die mit blau ebenso exakt umschrieben ist wie das Appenzellerland an einem herrlichen Sonnentag mit grün. Am Nachmittag folgt meistens das Tropenregenschauspiel: Irgendwo am heiteren Himmel wächst aus einem Wölklein mit heimtückischer Geschwindigkeit eine Bank aus Kumuluswolken. Die greifbare Ähnlichkeit mit dem Weltuntergang lässt uns in die Nähe einer Türe aufsuchen. Dann schüttet es ebenso gewaltig wie kurz, der Tropfenwirbel schlägt einen Regenbogen und hinterlässt ein betrogenes Meer, das gar keine Zeit fand, sich aufzuwühlen. Und wir trocknen die Stühle und geniessen die Abendfrische, bevor sich die Sonne um sechs Uhr ins Meer verkriecht.
Soeben auf die Südhalbkugel gewechselt!


Dein Name sei "Grosser Weisser Hai!"


Nebst den 2½ Tausend Autos, vielen LKWs, Baumaschinenungetümen, Stahlplatten und -rohren und Containern transportiert die Grande Africa auch eine Crew aus 22 Philippinos und 5 Schweden sowie 11 Passagiere: 2 Franzosen, 2 Schweizer, 7 Deutsche (beachte: auch hier in der Überzahl). Diese Passagiere dienen der Reederei nicht nur zum Generieren von Geld, sondern vor allem zu Vorrechten bei der Hafeneinfahrt. Trotzdem warten wir vor Freetown 3 Tage und stehen auch vor Sao Paulo 48 Std. buchstäblich im Stau. 28 Schiffe 
vor uns! Und in der Schule erzählen die Lehrer, dank der Umstellung auf Container und daraus folgender kürzerer Standzeit sei eine weltweite Hafen-Überkapazität...
Was wir so den ganzen Tag machen? Hier eine kurze unvollständige Auswahl, natürlich bringen wir nie alles in einem Tag unter: Das Wetter und den Blick übers Meer geniessen, in einem Liegestuhl lesen, spanisch lernen, auf den offenen Decks spazieren und z. B. dem Rosten zuschauen, einen Besuch auf der Brücke abstatten, die Seekarte und die Position studieren, meerstechen (die Deutschen sagen dem „ins Fernglas kucken“), das Mittagessen nicht verpassen, ein Mittagsschläfchen halten, lesen, Fotos sortieren, fliegende Fische beobachten, einen Kaffee trinken, den Füllgrad des Pools kontrollieren und schwimmen, das Wetter bestaunen, die eigene Äquatortaufe erdulden und diejenige der andern geniessen, den Fitnessraum nutzen, zuviel zu Nacht essen, jassen, etwas am Auto chnütterlen..., und wisse: Das Meer weigert sich standhaft, weniger eindrucksvoll zu werden und will weiterhin beobachtet und bestaunt werden.
Nicht mal im Bilderbuch ist die Hafeneinfahrt
nach Rio de Janeiro
schöner

Wenn wir einen Hafen anlaufen, gibt's besonders viel zu tun: Meerstechen, fotografieren, den An-/Ablegevorgang beobachten und kommentieren, den Kranen und den Container-Staplern zuschauen, das äusserst liebevolle, sorgfältige (!!) Be- oder Entladen von alten Autos mitverfolgen, hier und dort ein Schwätzchen halten, sich ob den Internetfreaks wundern, die stundenlang mit Spezialantenne und viel Verbissenheit erfolglos ein Netz suchen.
Rio de la Plata: Nach Montevideo



Es wird Zeit, das Schiff zu verlassen: Heute ertappte ich mich dabei, dass ich mir die Windgeschwindigkeit in Knoten merkte, das Schiff nicht mehr „ship“, sondern „vessel“ nannte und die SSW-Richtung mit 225° benannte. Trotz der bombastischen Seefahrt freuen wir uns auf die Ankunft in Buenos Aires. Bis jetzt hatte der Käptn die Reise-Verantwortung, jetzt wollen wir sie übernehmen. Auf geht's!


Für weitere Fotos findest Du in der Spalte links den entsprechenden Link (Rechtsklick).

Entspannte Grüsse von
Lukas und Brigitte

Mittwoch, 16. November 2011

Schifffahrt 1

Hamburg - Antwerpen - Le Havre - Dakar - Freetown - Buenos Aires - 
Sao Paulo (Santos) - Montevideo -  Buenos Aires

5 Wochen,,,

Eine Ehrfurcht erheischende Grösse

Was macht ein Schweizer, dem eine fünfminütige S-Bahnverspätung – trotz entschuldigender Lautsprecherdurchsage – Ärger bereitet, wenn die Abfahrt seines Schiffes nur Zweitage-genau verraten wird? Er fühlt sich elendiglich unwohl. - Brigitte und ich sind Schweizer.
Das Internet gibt als Abfahrtstag den 14. Oktober an, also kommen wir am 12. abends in Hamburg an und machen uns reiseführergläubig auf zur Reeperbahn. Wir kommen zum Schluss, dass wir ausserhalb der Norm sein müssen: Wir brauchen weder Latexmasken, noch 200 Kneipen, keine meterlangen Dildos oder Liveshows. Ein Bierli reicht uns.
Dass wir am nächsten Tag schon vor der Mittagszeit passschwingend am Schalter stehen, enorm stolz, den richtigen Quai gefunden zu haben, kümmert niemanden. Dass Schiff hat noch nicht mal angelegt.
24 Std. später: Wie eine Matrone liegt die Grande Africa ans Pier gefesselt und lässt teilnahmslos alles über sich ergehen. Ob 1'500 PWs – die meisten keck dem Schrottplatz entwischt - in ihren betagten Bauch humpeln oder Ungetüme von Baumaschinen, sie bewegt ihre 150 000 Tonnen keinen Millimeter.
Donna Grande Africas Eingeweide sind verschlungen: 12 Docks hoch (ca 37° warm, also nur knapp fieberfrei), dann rund 17 Mal links und rechts, dann werden wir in einer kleinen Darmzelle zwischengelagert. Diese Zelle hat 2 Betten, DUSCHE, Kühlschrank. Kein Fenster.
Eine Stadtbesichtigung später darf die Matrone noch ein Homöopathie-Kügeli schlucken: unser Cämperli. Für den Fall, dass ihr der Magen mal überschwappen sollte, wird es tüchtig festgezurrt.
In der Fahrzeughalde von Hamburgs Hafen hat's einige Lücken gegeben. Jetzt darf die Matrone losgleiten. Ob sie weiss, dass in Antwerpen und Le Havre ihr noch hungriger Magen mit weiteren 1000 Fahrzeugen gestopft wird und ihr auch noch hundert Container auf die Nase gesetzt werden?
Unsere erste grosse Seefahrt hat begonnen! Elbeabwärts, später durch den Ärmelkanal, geht's an Aberdutzenden anderen schwimmenden Märchenländern vorbei. Vor uns liegen perlenkettengleich Markierungsbojen. Das ist der Weg nach Buenos Aires! Ja, wir kommen!
Wieder schmiegt sich ein kitzekleines Bötchen an unsere Lady. Der Lotse für Le Havre kommt an Bord. Ja, auf See ist aus unserer unförmigen Matrone eine Lady geworden: Lächelnd schneidet sie den Atlantik entzwei, um 220 Meter später das gepeinigte und nach Rache schreiende Wasser sich wieder mit Luft zusammenschlagen zu lassen und dann ein kilometerlanges Luftwasser-Gewebe hinter sich herzuziehen. Das Sulzer-Dieselherz schnurrt unbeirrt und zufrieden, bekommt es doch bei Volllast stündlich 14 t Diesel.

Vor Tagen noch schrieen wir unsere Begeisterung in den eisigen Fahrtwind, wohl geschützt durch Pullover, Jacke, Kappe. Aber schon weit vor Dakkar lächelt der Geografielehrer: Das mit der zunehmenden Wärme Richtung Äquator ist wirklich wahr, Jahreszeit hin oder her! Badehosen her, die Lady hat das entzückende Grübchen auf ihrem Hinterteil mit Badewasser gefüllt! Auch dort treibt es uns zu Begeisterungsschreien.
Ganz gerissen von unserer Lady: Da hie und da etwas gemotzt wird über ausfallende oder ungenügende Klimaanlage, über gewisse Unreinlichkeiten, schickt sie uns in Dakkar für einige Stunden an Land. Der Schock über die Zustände in diesem städtischen Afrika genügt, um zur Grande Africa wieder ehrfürchtig und dankbar zurückzukehren.
Freetown ist nicht rechtzeitig bereit für den Damenbesuch. Der Hafen verweigert der Grande Africa vorläufig die Einfahrt. Aber unsere Lady ist schlau: Damit sie nicht von ungebetenen Piraten bestiegen wird, kreuzt sie am Tag und in der Nacht pausenlos in unvorhersehbaren Schlaufen vor dem Hafen. Dabei möchte sie doch nur ein paar hundert Auto-Schwarten ausspucken: Brosamen für Afrika, gesparte Sackgebühr für Europa. Einigen Walfischen gefällt es, den geschenkten zusätzlichen Tropen-Ferientagen mit einer Tanzkür das Tüpfli auf's i zu setzen.













Herzliche Grüsse von den Seefahrern

Lukas und Brigitte