Mittwoch, 6. Juni 2012

Von Brasilien nach Bolivien




Miranda - Corumba - Grenzübertritt Bolivien - Sta Cruz - Cochabamba







Ja, die zweitägige geführte Tour durchs Pantanal hat sich gelohnt. Zwar war es an beiden Tagen durchgehend bewölkt, was die Fotoqualität deutlich beeinträchtigt, dafür die Mückenquantität erhöht. Der Regen aber wartete glücklicherweise bis zum dritten Tag, dann allerdings holte er das Versäumte mehrfach auf!


Das Pantanal ist das weltgrösste Sumpfgebiet und somit Tummelplatz für allerlei Getier. Am häufigsten sind die Mücken, gefolgt von den Fliegen und Ameisen. Diese drei allgegenwärtigen Viecher helfen aber den ebenfalls zahlreichen Vögeln zu vollen Bäuchlein. Die Tümpelränder gleichen einer schweizerischen Badi an einem Sommersonntag. Allerdings liegen statt sonnenhungrigen Leuten wärmehungrige Kaimane am Wasserrand.








Zu Fuss, vom Boot und vom Pferd aus – jawohl, ich klettere erstmals seit 15 Jahren wieder auf ein solches Transportmittel! – sehen wir dazu noch einen Hirsch und einen Ameisenbär, Wasserschweine, Affen, Otter, aberdutzende von Störchen, und vor allem herrlich verknorzte Bäume. Das gutmütige Pferd gehorcht mir, als wären wir seit Jahren ein Team. Es ist sich nicht zu schade, mich auch durch Sumpf zu tragen, durch mannshohes Gras zu traben, und dass mich niemand Gaucho Lukas nennt, ist bestimmt nur meinem ungauchomässigem Helm zuzuschreiben.


















In Corumba an der bolivianischen Grenze müssen wir die Weiche stellen: Wollen wir auf Flüssen und über „naturbelassenen“ Pisten während Wochen via Manàus am Amazonas nach Venezuela oder westwärts nach Bolivien und Peru? Während Wochen feuchte Luft kauen und uns plagen lassen von Ameisen, die sich vorzugsweise Brigitte widmen, und von Mücken, die sich vorzugsweise anmeinem Blut laben? Da es im Amazonasgebiet lange nicht überall elektrisches Licht gibt, könnte ich abends nicht einmal Frieden mit ihnen schliessen, weil ich ihnen nicht genüsslich beim Selbstmord an den nackten Glühbirnen zuschaue könnte. Also: Bolivien, wir kommen!





Der Polizeibeamte, ein kleiner Mann mit würfelförmigem Kopf und tief zerklüftetem Gesicht, fertigt uns rasch ab und sagt mit freundlicher und nasser Aussprache, dass heute die Einreise nicht möglich ist, weil die Zollbeamten streiken. Aber mañana...
Mañana können wir nachvollziehen, warum die Grenzpolizei streikt. Die Abfertigung ist absolut chaotisch. Keine der Zollbaracken ist angeschrieben, man muss sich durchfragen. Dort, wo viele Leute stehen, hats auf Bauchnabelhöhe einen Schlitz in der Wand. Hinter dem Schlitz sitzt ein Beamter, der offenbar den Herzinfarkt fürchtet wie der Teufel das Weihwasser und es sichtlich geniesst, wenn man sich vor ihm tief bücken muss, um etwas von ihm durch den Schlitz zu erhaschen und von seinem Genuschel zu verstehen. Während des Anstehens erfahren wir, was für Papiere es braucht und wovon wir auch Fotokopien vorweisen müssen. Logisch, dass dann doch noch eine Kopie fehlt, aber man hat ja Zeit, um auf der andern Strassenseite eine solche zu erwerben und sich wieder zum Schlitzmenschen durchzukämpfen.
Nach der Privataudienz auf der Beamtenseite der schlitzbestückten Mauer sind wir mit genügend Stempeln ausgerüstet, um den Polizeiposten in der Stadt für die „Strassenbenützungsbewilligung“ suchen zu dürfen. Der Polizeibeamte, der bis anhin nur halblaut und ohne jegliche Emotion gesprochen hat, würde bestimmt wiehern vor Lachen, wenn ich ihn um ein Plänchen vom Weg fragen würde oder nach der Existenz von Wegweisern. Der zackige Benützungsbewilligungspolizist hinter seinem um eine Stufe erhöhten Pult und vor allem sein Gehilfe mit dem enormem Pommes-Frites-Bauch entschädigen uns für die Mühe.
Vom langen Weg nach Santa Cruz greife ich zwei Dinge heraus: Wir verbringen die erste Nacht auf einem Platz an einem See mit 37(siebenunddreissig)-grädigem Wasser. H.E.R.R.L.I.C.H. Der Platz hat kalte Duschen und Licht, die Schalter wahrscheinlich nicht SEV-geprüft.























Die Strasse wurde und wird neu gebaut, deshalb wird an der alten Strasse gar nichts mehr geflickt, nada, null. Hat zur Folge, dass es der schlechteste Abschnitt einer offiziellen Strasse ist, den wir je befahren haben.





Per e-Mail vereinbarten wir mit dem Franzosenpaar, das wir bei der Schifffahrt kennengelernt hatten, uns in der Millionenstadt Santa Cruz zu treffen. Der im Reiseführer gelobte Platz des bolivianischen Automobilclubs scheint geeignet. Der Führer ist drei Jahre alt, besagter Platz verlassen und vergammelt, die Franzosen im natel- und e-mailfreien Outback. Aber irgendwie klappt alles, wir treffen uns am Flughafen im gekühlten Restaurant. Von Spanisch auf Französisch umschalden ist nadürlich üperhaubt käin Broblem...
Die „Lomas de Arena“, nicht weit von der hektischen Grossstadt entfernt, sind ein Stück Saharadünen in Südamerika. Da nur 400 Personen pro Jahr dieses Naturschauspiel besuchen, wollen wir dorthin dem Lärm entfliehen. Die Anfahrt über verkehrsgepeitschte Ausfallstrassen und durch Favelas (danke, liebes GPS!) lohnt sich, auch wenn unser Auto 200 Meter vor dem Parkeingang in einem der vielen Schlammlöcher einfach absäuft und an die Leine genommen werden muss.



Bis zu 60 m türmen sich die weissen, feinkörnigen Sanddünen in den Himmel. Fotomotive ohne Ende: im Sand ertrinkende Bäume, kleine Lagunen, weidende Pferde in der Pampa, ... .
Nur: Nachdem wir uns installiert haben, beginnt es zu regnen. Nicht zu knapp und nicht zu kurz. Anderntags sind die Sandpisten mit Wasser bedeckt, aber der Regen macht Pause. Wir geniessen eine ausgedehnte Wanderung barfuss über die verschiedenen Dünen und lassen die Fotoapparate arbeiten.


Am Nachmittag müssen wir uns entscheiden: Wollen wir die Rückfahrt durch ein paar Kilometer grenzwertige Sand-Wasser-Pisten wagen oder allenfalls über Tage im Park eingeschlossen bleiben, weil der Himmel mit einer weiteren Portion droht? Brigitte und ich rekognoszieren zu Fuss den ersten Kilometer mit dem Resultat: Vamos, wer wagt, gewinnt!
Die ersten drei Kilometer legen wir erstaunlich problemlos zurück. Dann sackt der Landrover einfach in einen metertiefen Graben ab, dessen Tiefe wegen des durchfliessenden Wassers nicht voraussehbar war. Das Auto sieht aus, wie ungespitzt in den Boden gerammt. Dank der Bodenplatte vorn am Auto kann es sich selbst befreien.

Kurz darauf stehen wir vor einem Bach, der diesen Namen durchaus verdient. Erste Reaktion: Keine Durchquerungs-Chance, wir müssen warten, eventuell mehrere Tage. Zweite Reaktion: Man könnte ja zu Fuss mal vorsichtig sondieren... Dort, wo der Bach am wenigsten tief ist, gibt es aber keine Ausfahrt. Aber man könnte im Bach abdrehen. Aber wenn das Auto steckenbleibt, wird der schlammige Sand unter den Rädern sehr schnell weggespült, das Auto sinkt bis aufs Chassis ein... Entschluss: Siehe Filmli.

Schon während des Eindunkelns beginnt es wieder tropisch zu regnen, der Bach steigt unaufhörlich! Auch auf dem restlichen Weg aus dem Park muss unser Merzli zeigen, dass es mehr kann, als Diesel schlürfen. Es regnet so ausgiebig, dass auch Strassen in der Stadt überspült sind.





Über Samaipata fahren wir Richtung Cochabamba. Jetzt sind wir in Bolivien, wie wir es uns vorstellen: Naturstrassen, immer kurvenreich und auf und ab auf einer Höhe zwischen 2600 und 3300 müM, am Tag warm, nachts kalt, die Buschsavanne wie ein Flickenteppich übersät mit sorgfältigst gepflegten Äckern, die Dörfer sehr einfach, aber ohne schmerzende Armut, die indigenen Leute in den typischen bunten Kleidern – und die Männer stets mit einem gewaltigen Schigg in einer Backentasche.



















Wir freuen uns auf das „Grosse Altiplano“, das Merzli und sein Partikelfilter hoffentlich auch.

Liebe Grüsse von den zwei glücklichen Reisefüdlis
Lukas und Brigitte


6 Kommentare:

  1. ♥ Pro Bolivia! ♥

    Der Schigg ist imfall kein Schigg, das sind Kokablätter. Versucht das mal bei Gelegenheit. Einfach am Markt ein Beutelchen kaufen, Stiel entfernen, in die Backe stopfen, NICHT kauen sondern ab dann mit Blätterpacken in der Backe rumlaufen.

    Man erkennt dass ihr fängs Blogger mit Herzblut seid, wenn ihr die Bachüberquerung filmt ;-)

    Die Wüste ist der Oberhammer!

    Und der Schlitz auf Bauchnabelhöhe war denk für Bolivianer gerade so, dass sie auf Zehenspitzen stehend dem Grenzheini in die Augen schauen können....

    Isabelle

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  2. Liebe Isabelle
    Kokablätter haben wir bereits mal probiert; allerdings gekaut und es schmeckte wie Heu!
    Wir hatten das Glück, dass unsere Bachpassage gefilmt wurde - meine Nerven waren zu beansprucht um selber zu filmen. Kommt dazu, dass ich am falschen Ort gestanden bin. Aber ich bin diejenige, die "bravo" ruft. Es war wirklich knapp!
    herzliche Grüsse Mami

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  3. Haarscharf! Bin froh, dass das Merzli so gut mitmacht und auch Obacht gibt, ich musste gerade auch ein bisschen Bravo rufen:) Im nächsten Blogg also gerne zwei volle Backentaschen...
    Ich wünsche viele Kurven mit schöner Aussicht, wenig Regen und gutes Höhe-Vertragen!
    Lieber Gruss Franziska

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  4. kann nur WOWen...!!!!!!
    regula

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  5. Hehe, ist doch schön, wenn die Büssli-Fraktion den Landys zeigt, wo der Bartli den Moscht holt :)) Aber nicht übermütig werden mit den tiefen Wasserfahrten! Sobald das Merzli Wasser ansaugt ist dann fertig Motörchen (hier ist der Landy mit dem Schnorchel wieder im Vorteil).
    Wir wünschen Euch viele weitere wenig benutzte und wunderschöne Strassen.
    Herzliche Grüsse
    s'Wilhelms aus Eiken

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  6. Hallo Ihr zwei
    Ich staune immer wieder über eure spannenden Berichte. Geniesst die Zeit
    Rita

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