Mittwoch, 16. November 2011

Schifffahrt 1

Hamburg - Antwerpen - Le Havre - Dakar - Freetown - Buenos Aires - 
Sao Paulo (Santos) - Montevideo -  Buenos Aires

5 Wochen,,,

Eine Ehrfurcht erheischende Grösse

Was macht ein Schweizer, dem eine fünfminütige S-Bahnverspätung – trotz entschuldigender Lautsprecherdurchsage – Ärger bereitet, wenn die Abfahrt seines Schiffes nur Zweitage-genau verraten wird? Er fühlt sich elendiglich unwohl. - Brigitte und ich sind Schweizer.
Das Internet gibt als Abfahrtstag den 14. Oktober an, also kommen wir am 12. abends in Hamburg an und machen uns reiseführergläubig auf zur Reeperbahn. Wir kommen zum Schluss, dass wir ausserhalb der Norm sein müssen: Wir brauchen weder Latexmasken, noch 200 Kneipen, keine meterlangen Dildos oder Liveshows. Ein Bierli reicht uns.
Dass wir am nächsten Tag schon vor der Mittagszeit passschwingend am Schalter stehen, enorm stolz, den richtigen Quai gefunden zu haben, kümmert niemanden. Dass Schiff hat noch nicht mal angelegt.
24 Std. später: Wie eine Matrone liegt die Grande Africa ans Pier gefesselt und lässt teilnahmslos alles über sich ergehen. Ob 1'500 PWs – die meisten keck dem Schrottplatz entwischt - in ihren betagten Bauch humpeln oder Ungetüme von Baumaschinen, sie bewegt ihre 150 000 Tonnen keinen Millimeter.
Donna Grande Africas Eingeweide sind verschlungen: 12 Docks hoch (ca 37° warm, also nur knapp fieberfrei), dann rund 17 Mal links und rechts, dann werden wir in einer kleinen Darmzelle zwischengelagert. Diese Zelle hat 2 Betten, DUSCHE, Kühlschrank. Kein Fenster.
Eine Stadtbesichtigung später darf die Matrone noch ein Homöopathie-Kügeli schlucken: unser Cämperli. Für den Fall, dass ihr der Magen mal überschwappen sollte, wird es tüchtig festgezurrt.
In der Fahrzeughalde von Hamburgs Hafen hat's einige Lücken gegeben. Jetzt darf die Matrone losgleiten. Ob sie weiss, dass in Antwerpen und Le Havre ihr noch hungriger Magen mit weiteren 1000 Fahrzeugen gestopft wird und ihr auch noch hundert Container auf die Nase gesetzt werden?
Unsere erste grosse Seefahrt hat begonnen! Elbeabwärts, später durch den Ärmelkanal, geht's an Aberdutzenden anderen schwimmenden Märchenländern vorbei. Vor uns liegen perlenkettengleich Markierungsbojen. Das ist der Weg nach Buenos Aires! Ja, wir kommen!
Wieder schmiegt sich ein kitzekleines Bötchen an unsere Lady. Der Lotse für Le Havre kommt an Bord. Ja, auf See ist aus unserer unförmigen Matrone eine Lady geworden: Lächelnd schneidet sie den Atlantik entzwei, um 220 Meter später das gepeinigte und nach Rache schreiende Wasser sich wieder mit Luft zusammenschlagen zu lassen und dann ein kilometerlanges Luftwasser-Gewebe hinter sich herzuziehen. Das Sulzer-Dieselherz schnurrt unbeirrt und zufrieden, bekommt es doch bei Volllast stündlich 14 t Diesel.

Vor Tagen noch schrieen wir unsere Begeisterung in den eisigen Fahrtwind, wohl geschützt durch Pullover, Jacke, Kappe. Aber schon weit vor Dakkar lächelt der Geografielehrer: Das mit der zunehmenden Wärme Richtung Äquator ist wirklich wahr, Jahreszeit hin oder her! Badehosen her, die Lady hat das entzückende Grübchen auf ihrem Hinterteil mit Badewasser gefüllt! Auch dort treibt es uns zu Begeisterungsschreien.
Ganz gerissen von unserer Lady: Da hie und da etwas gemotzt wird über ausfallende oder ungenügende Klimaanlage, über gewisse Unreinlichkeiten, schickt sie uns in Dakkar für einige Stunden an Land. Der Schock über die Zustände in diesem städtischen Afrika genügt, um zur Grande Africa wieder ehrfürchtig und dankbar zurückzukehren.
Freetown ist nicht rechtzeitig bereit für den Damenbesuch. Der Hafen verweigert der Grande Africa vorläufig die Einfahrt. Aber unsere Lady ist schlau: Damit sie nicht von ungebetenen Piraten bestiegen wird, kreuzt sie am Tag und in der Nacht pausenlos in unvorhersehbaren Schlaufen vor dem Hafen. Dabei möchte sie doch nur ein paar hundert Auto-Schwarten ausspucken: Brosamen für Afrika, gesparte Sackgebühr für Europa. Einigen Walfischen gefällt es, den geschenkten zusätzlichen Tropen-Ferientagen mit einer Tanzkür das Tüpfli auf's i zu setzen.













Herzliche Grüsse von den Seefahrern

Lukas und Brigitte

2 Kommentare:

  1. Wunderbar geschrieben, wunderbar zu lesen! Ich freue mich für Euch!!! regu

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  2. Bis ich kapiert habe WESSEN Hinterteil-Grübchen sich mit Wasser gefüllt haben....!

    Isabelle

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