Mittwoch, 15. Februar 2012

Autofahren in Argentinien

In Argentinien und Chile verhilft das Autofahren zu vielen neue Erkenntnissen. Weil die Fahrprüfung in Buenos Aires oder irgendwo in der flachen Pampa gezwungenermassen unterschiedliche Ansprüche stellen, hat der Gesetzgeber durch das Aufstellen von unzähligen Schildern vorgesorgt. So findet man  hier und dort Tafeln mit etwa diesen Hinweisen: „Vermeiden Sie rasches Drehen des Steuerrades“ oder „Überholen Sie nur wenn nötig“. Schön, dass die Interpretation von „nötig“ dem Señor Conductor überlassen wird.
Brigitte hat es mir auch schon gesagt: Fahre vorsichtig! Hier sagt es der Schilderwald, oft sieht man das Schild „Fahren Sie vorsichtig“.

Das ist aber nicht immer nötig. So durfte ich letzthin auch unvorsichtig fahren, hiess es doch: „Fahren Sie auf den nächsten 500 m vorsichtig“. Und prompt wäre ich nach 600 m fast im Strassengraben gelandet.
Vermutlich steht im Strassengesetz die Weisung, im Durchschnitt alle 300 m irgend eine Tafel aufzustellen. Was das an Nachholbedürfnis erzeugt, wenn eine Strasse 80 km pfeifengerade und ebenaus verläuft, kann sich jeder gern ausrechnen.
Viele Autofahrer leiden offenbar an einer bösen Augenkrankheit, am Röhrenblick. Sie können die Landschaft nicht wahrnehmen, wohl aber ein kleines Schild.
Sie sehen z. B. eine Kirche nicht, wohl aber die entsprechende Tafel.

Weite Gebiete Argentiniens sind topfeben, logischerweise sind die Kurven rar. Das „Achtung Kurve“-Zeichen ist aber trotzdem das häufigste Verkehrssignal. Auf kurvenreicher Strecke perforiert dann schon mal eine Spur gelbreflektierender Tafeln das Schwarz-grün der Pampa und jede noch so kleine Strassenbiegung wird zum Anlass genommen, der „Alle-300-Meter-Weisung“ nachzukommen.

Vor jeder (jeder) Steigung wird gewarnt (eben wegen besagter Augenkrankheit). Allerdings gilt gemäss Schildern die Warnung nur für bestimmte Autotypen.






Interessant sind die Schwellen. Sie sollen das Rasen verhindern. Aber auf sie ist kein Verlass! Entweder stimmt die Form der Schwelle mit derjenigen auf der Warntafel nicht überein, oder es kommt trotz Warntafel keine Schwelle, oder hinterlistigerweise versucht eine nicht angezeigte Schwelle Deine Stossdämpfer zu ruinieren.







Grundsätzlich sind die Strassen gut. Schlimm wird's, wenn die Strassenbauer aufkreuzten. Die Autofahrer werden einfach über die grüne Wiese geschickt. Aber nicht nur für einige hundert Meter!








Wegen der Röhrenblickkrankheit   

braucht es diese Tafel unbedingt







Vor Baustellen muss man manchmal warten. Das Erraten der Bedeutung der vielen Tafeln verkürzt die Wartezeit.






Hier wird mit der grossen Kelle angerichtet?

                                                 Zum Sändelihaufen links abbiegen?

                                Undefinierbares Fahrzeug stösst gegen Abschrankung?

                               Hier wird mit zu kleinen Maschinen gearbeitet?

                                                       Achtung Betrunkene?

Und ausserhalb von Baustellen: Was bedeuten wohl diese Tafeln?















Ganz extrem  gespart wird bei Wegweisertafeln. Es gibt Städte ohne einen Wegweiser. Kreuzungen mit Wegweiser sind absolute Mangelware. Das Geld wurde wahrscheinlich aufgebraucht für die Tafeln (alle neu und in bestem Zustand), welche die Brücken benennen. Es muss sehr interessant sein zu wissen, wie das 8 Meter lange Brücklein heisst und welches Bächlein überquert wird. Sollte mal weder Bächlein noch Brücklein einen Namen haben, darf die Tafel trotzdem nicht fehlen.







Das ist nicht etwa eine PET-Sammelstelle. Zu Ehren einer Mutter, die in der Steppe verdurstete, aber ihrem Kleinkind davor soviel Wasser überliess, dass es überlebte, opfern die  Autofahrer etwas Wasser.







Noch besser geht's dem Schrecken der Reichen und Retter der Armen, dem sehr verehrten Gaucho Gil: Ihm wird Wein dargebracht, wenn auch vorzugsweise Château Carton.







Übrigens: Hast Du gewusst, dass auf den Strassen Argentiniens im alltäglichen Verkehr viele Oldtimer anzutreffen sind? Und dass die Wagen des Volkes nicht selten Lastwagen sind (VW)?















Und wie geht es mir beim Autofahren? Nach unserer Ankunft in Buenos Aires fuhr ich extrem vorsichtig. Vor dem  ersten Rotlicht hielt ich selbstverständlich an. Das sofort einsetzende Gehupe machte mir klar, dass hier das Rotlicht NACH der Kreuzung und nicht davor steht. Ist irgendwie gewöhnungsbedürftig!
Von der riesigen Inflation des Geldes vor 10 Jahren ist etwas auf den Strassenverkehr übergeschwappt. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen dürfen mit 3 multipliziert werden. (Max 20 bedeutet max 60, plus Toleranz). Eine einfache Sicherheitslinie - recht selten - bedeutet „gefahrloses Überholen möglich“. Eine doppelte Sicherheitslinie (sehr häufig) bedeutet: „Überholen erlaubt, wenn kein Gegenverkehr herrscht“. Als ich das erste Mal in meinem Leben eine Doppellinie überfuhr, sah prompt ein Polizist zu. Mein Adrenalinspiegel machte heldenhafte Versuche, entsprechend der Situation zu reagieren. Aber der Polizist reagierte nicht. 

Gehupt wird ganz selten. Aber der Pannenblinker wird eben wegen des Röhrenblickes häufigstens gebraucht: Wer sähe schon den in der Haltebucht stehenden Bus oder die stehende Kolonne vor der Baustelle, das stehende Auto an der Tankstelle, wenn nicht geblinkt würde? Apropos Blinker: Wenn ein Lastwagen links abzweigen will, blinkt er links. Wenn er einem das Überholen erleichtern will, blinkt er links (kein Schreibfehler). Alles klar?

Solltest Du den Verdacht haben, Deine Reparatur-Garage habe etwas gar gesalzene Stundenansätze, probierst Du es doch mal mit einer, die nicht kostbare Zeit mit Aufräumen vergeudet. Die Arbeitsstunde kostet dann vielleicht auch nur etwa 10 Fr.

















Herzliche Grüsse aus dem Auto 
Lukas und Brigitte
(manejando con mucho precaucion)

Donnerstag, 9. Februar 2012

In Chiloé regnet's

Auf und um Chiloé

Chiloé sei das regenreichste Gebiet Chiles

Unsere Tochter Franziska und Chrigi sind also wieder zurück in die Schweiz geflogen, wir beide Alten dürfen in Südamerika bleiben.
Zuerst gilt es, all die liegengebliebenen Arbeiten zu erledigen: Blog schreiben, Tagebuch nachführen, Fotos sortieren, die Wäsche in Ordnung bringen. Dann treffen wir uns mit unseren früheren Franzosen-Reisekollegen, um Erfahrungen auszutauschen und zu einem guten Znacht. Tags darauf stossen wir auf ein Bierfest des Deutschen Clubs: Wir essen schunkelnderweise Bratwürste und Kuchen.














Unsere franz. Reisekollegen beim Wiedersehens-Znacht











                                        Brigitte und ich beim Schunkeln














                                  Kein Brösmeli darf verloren gehen!












Offenbar ist Ende Januar strikte Fest-Zeit: Im Nachbardorf können wir bei einer Rodeoveranstaltung zuschauen, wie Rinder getrieben und gefangen werden.



Jedes Reiseführer-Buch schwärmt von der Insel Chiloé: Lieblich, sanft, anmutiger Reiz, phänomenale Holzkirchen, gute Küche, ... . Obwohl wir wissen, dass Chiloé auf der Liste „Häufigkeit der Niederschläge“ zuoberst aufgeführt ist, wollen wir uns diesen Leckerbissen nicht entgehen lassen und bezahlen die Fährüberfahrt.




Brücke in schlechtem Zustand. Höchstens 5 t.Für Fahrzeuge über 5 t obligatorische Umleitung über...

Unser Cämperli hat gut 3,5 t. Also nehmen wir nicht die Umleitung, sondern wollen über die Brücke fahren. Nach ca 5 km sehen wir, wie Chilenen Vorschriften durchsetzen: Weil Fahrzeuge über 5 t meist auch hoch sind, wurde eine Höhenbarriere von 2,30 m aufgestellt. Keine Chance für unser Merzli mit fast 3m! Also staunen, fluchen, zurückfahren und die lange Umfahrung benützen.





Es stimmt: Es regnet täglich und oft. Die Kirchen sind sehenswert, aber aus den Socken hauen sie uns nicht. Das Sanft-lieblich-anmutige fanden wir noch nicht. Dafür wohnen wir einem Folklorefest bei: Die Musik meist aus der Konserve, das Asado eher zäh, betrunkene Jugendliche etwas zu häufig. Aber die Stimmung gefiel uns ausgezeichnet, vor allem, weil wir mit einer Familie aus Santiago ins Gespräch kamen. Zum Kaffee luden sie uns in ihre Unterkunft ein, es gab einen unvergesslichen Abend.
Manchem Schöfli passt diese Festerei und
Fresserei nicht ganz in den Lebensplan...





Musik vorwiegend aus der Konserve, Fleisch ausschliesslich frisch vom Grill
Kein Deutsch auf der einen Seite, wenig spanisch auf der andern. Lustig war's trotzdem, vor allem anschliessend ans Fest bei den Chilenen zu Hause!









































Den einzigen sonnigen Tag nutzen wir, um auf einer winzigen Insel (chilenisch winzig, nicht schweizerisch winzig) Velo zu fahren. Brigitte spricht und versteht genug Spanisch, um einen Kutter für die Hinfahrt zu organisieren. Wir durchqueren die ganze Insel, machen sogar noch einen Abstecher zu einem Leuchtturm, der nur auf der Landkarte existiert. Obwohl auf dieser Insel weder Kurven- noch Steigungswarntafeln aufgestellt sind (siehe Blog „Autofahren), verursachen wir keinen Unfall. Und für den Rücktransport zum Festland reicht sogar mein Spanischgestotter, ich finde einenfährwilligen Kutter.





Brigitte mit ihrem perfekten Spanisch fand eine Barke für die Hinfahrt auf die (chilenisch) Miniinsel






Lukas mit seinem Mikrospanisch organisierte die Rückfahrt















Das Velofahren kann beginnen.
Was erwartet uns wohl?







Weil der Regen sich standhaft weigert, sich zu verabschieden und schöne Standplätze wegen den lückenlosen Zäunen eine Rarität sind, beschliessen wir, mit der Fähre nochmals südwärts zu fahren und dort einige von uns stehengelassene Leckerbissen zu geniessen. Wegen der vielen Touristen sind wir vorsichtig und suchen das Fährschiff-Reisebüro auf. Eine ganze Woche warten?! Bei diesem miesen Wetter? Schlau wie wir sind, entschliessen wir uns für den Landweg. Auf der berühmten Carretera Austral können wir den Süden auch auf dem Landweg erreichen. Die Schotterstrasse ist dreimal unterbrochen, die Lücken müssen mit zwei kürzeren und einer längeren Fährpassage geschlossen werden.
Die erste Fähre lässt uns keine Stunde warten, die anschliessende Fahrt durch den Regenwald ist fabelhaft. Der Wald macht seinem Namen Ehre: Es regnet Bindfäden, die Vegetation ist dicht und artenreich wie im Schulbuch beschrieben.








Durch den Regenwald mit genügend und richtigem Regen






Die Überraschung ist gross, dass die zweite Fähre nicht gemäss Reisebuch einmal täglich, sondern dreimal fährt. Und die Überraschung ist noch wesentlich grösser, als die Señorita im Billetthäuschen uns ohne erkennbare Gefühlsregung mitteilt, dass der nächste verfügbare Platz in acht (8) Tagen sei und die Stand-by-Warteliste über 40 Autos umfasse.
Draussen regnet's.
Wenigstens finden wir einen schönen Standplatz für den Abend, für die Nacht. Zwei triefend nassen Velofahrern – dem Schweizer Christoph und dem US-Amerikaner Matthew - bieten wir Schutz vor dem endgültigen Ertrinken und einen Tee an.
Heute erwachen wir bei herrlichstem Sonnenschein. Im Regenwald! Sofort stelle ich Tisch und Stühle auf, Brigitte richtet ein Gabelfrühstück, die Jasskarten werden ausgegraben... Wie ist doch das Reisen schön!









Fröhliche Grüsse
Lukas & Brigitte, zur Zeit am Bach im Regenwald, Chile