Donnerstag, 13. Oktober 2011

Tschau zum Zweiten

Rügen - Stralsund - Hamburg (O'Swaldkai)



Heute ist Einschiffung! (Hat gar nichts mit urinieren zu tun!). Nach grausam schönen Tagen auf Rügen - die Deutschen müssen ein Spezialabkommen mit Petrus getroffen haben - wurde ja für einmal die Schifffahrt nicht nach-, sondern vorverschoben.
kurze Pause


...und weiter geht's
Also verabschieden wir uns von Rügens Meer und Wind und Buchenwälder und Biken den Kalkküsten entlang und tätigen in Stralsund - das ist eine 50 000-Einwohnerstadt an der Grenze zu Rügen - letzte Einkäufe: Stirnlampe, Pfefferspray, Seidenschlafsack, für Brigitte eine perfekte Wolfskin Jacke.




Von hier kommt der Ausdruck "vor lauter
Bäumen den Wald nicht sehen"








Die Frage nach einem Ersatzteil für die Federung unseres achtjährigen Bikes erzeugte nicht mal ein Lächeln weder beim ersten, zweiten noch dritten Velomenschen, aber mit dem gutem Willen des letzteren brachten wir es wieder zum Federn. Dass die Trittstufe des hochbeinigen Campers ihren Dienst quittierte, gefiel Brigittes Hüfte in keiner Weise. Dem dortigen Reisemobilcenter war das eher gleich, es verkaufte uns mal eine neue Stufe, zum Einbauen wollte aber die Zeit nicht reichen.

Kurz vor Hamburg machten wir einen Camper-Spezialisten aus, der bereit war, sofort zu helfen. Nach gut zwei Stunden Suche nach dem elektrischen Defekt und zehnminütigem Telefon mit dem Hersteller unseres Wohnmobils fanden wir die Sicherung: Absolut perfekt versteckt, weit weg von den restlichen Sicherungen, präsentierte sie sich in der Abenddämmerung: Tot und durchgebrannt und in 10 Sekunden ausgewechselt. Brigittes Hüfte lässt danken. Und ich weiss jetzt ein neues Geldversteck im Camper, auch ein Profidieb hat keine Chance...
Übrigens: Die Trittstufe verkaufte ich mit 90% Einschlag...
















Mit den geplanten drei Hamburgtagen wird jetzt also nichts, ein nächtlicher Reeperbahnbesuch (mit Brigitte) und eine kürzere Hafenbesichtigung müssen reichen. Jetzt geht's also richtig los, die Reiseouvertüre ist verklungen, das richtige Konzert beginnt. Wir freuen uns extrem!

In unseren Papieren heisst's, das Schiff habe weder Internet noch Natel. Ich zweifle allerdings, ob das ausser mir noch jemand anders aushält und ob somit diese Ankündigung nicht kalter Kaffee ist. Aber beachte trotzdem: Wenn wir in den kommenden 30 Tagen weder Blog noch e-Mail schreiben noch SMS verschicken, sind wir nicht gestorben, sondern auf einem Schiff zwischen Hamburg und Buenos Aires. Und dieses wäre dann wahrhaftig nicht an die elektronische Welt angedockt.

Tschau Europa!

Lukas und Brigitte

Montag, 10. Oktober 2011

Eingewöhnungsphase

  Schaffhausen - Flawil - Kreuzlingen - Lindau - Bayreuth - Usedom - Rügen - 
Prora - Stralsund - Hamburg

Bei prächtigstem Herbstwetter geniessen
 wir Deutschlands hohen Norden

Vorweggenommen: W-LAN in D zu bekommen (vielleicht liegt’s auch am Nichtgeübtsein!) ist gar nicht einfach! Im Norden erst recht nicht. Deshalb kommt der Blogeintrag erst jetzt.
20. 9.
Als alles, was auf dem Wohnzimmerboden, auf den Stühlen und in den Wäschezainen lag, plus 2 Bikes, 2 Tische, 1 Liegestuhl, 2 Sessel und diverse Kisten im Auto verstaut war, fuhren wir los.
Man glaubt es kaum, aber wir hatten eine Woche voll gestopft mit Terminen vor uns. Was nach Stress tönt, ist in Wirklichkeit traurig schön. Wir treffen uns um 14 Uhr zum Kaffee, am Abend zum Znacht,  am anderen Mittag zum Zmittag und abends wieder zum Znacht... Überall hiess es, Abschied zu nehmen und tschüss zu sagen, und zu hoffen, dass man sich gesund wieder sieht.  Ein herzliches Dankeschön an alle, die uns die letzte Woche verwöhnt, uns mit CH-Fressalien eingedeckt und uns so lieb verabschiedet haben.

Der moderne Alpabzug (Verlad der Rinder in einen Viehlaster) auf dem Oberalp bietet uns Kino in erster Reihe und lässt wieder einmal mehr die Gedanken aufkommen, ob wir wirklich soweit wegfahren müssen, um „glücklicher“ oder erfüllter zu sein.

Am 26.9. stolpern wir bei St. Margrethen über die Grenze.  Das Herz ist noch schwer, das Knie will überhaupt nicht reisen und unsere Ordnung im Auto ist (noch) katastrophal (dem Lukas sind meine Halbliterli ein Dorn im Auge – wir werden  bald Abhilfe schaffen und sie vergeniessen!). Augen zu und durch: in Lindau werden die Velos ausgepackt und die vom Doktor verordneten, bzw.  bewilligten 10 km mit dem Velo gefahren.  Und schon ist Ferienstimmung da – der Bodensee im Sonnenlicht und die Freiheit vor uns!

Wer Deutschland etwas kennt und gerne Velo fährt, weiss, dass es immer gleich um die Ecke einen guten Radweg gibt. Am nächsten Tag geht’s 20 km im Altmühltal nach und am anderen der Saale entlang. Mein Knie jubelt beim Radeln und es freut sich,  wenn es ausruhen darf, während Lukas noch eine sportliche Runde zusätzlich dreht.
Jeden Tag etwas velofahren
Warum sollte da nicht beste Ferienstimmung aufkommen?
Inzwischen wissen wir schon ziemlich gut Bescheid, was wo im Auto verstaut ist und nun sind’s auch schon einige Halbliterli weniger und damit etwas mehr Platz vorhanden. Die Arbeitsteilung – wenn wir überhaupt von Arbeit sprechen können – geht problemlos: wie schon zu Hause, lassen sich unsere Fähigkeiten mit den bevorzugten Verrichtungen vereinbaren. Da nützt Emanzipation wenig, wenn ich nicht kochen dürfte und Lukas kochen müsste. So bleiben wir doch beide bei unserer konservativen Arbeitsteilung und sind dabei zufrieden. Unser Reiseauto schätzen wir je länger je mehr. Wir stellen es an einem romantischen Platz ab – mal ist es ein praktisch leerer Campingplatz (die Saison ist zu Ende und praktisch keine Reisenden mehr hier), mal einfach so an einem Waldrand, am Meer oder eben wo wir gerade sind und machen es uns gemütlich.

Bis jetzt wurden wir von Sonne, warmem und windfreiem Wetter verwöhnt. Dass wir hier an der Ostsee noch im T-Shirt am Strand liegen, ohne Jacke radeln können, hätten wir nicht zu träumen gewagt.
Schon lange wollte ich mal nach Usedom und nun haben wir während 3 Tagen die Insel erkundet, genossen und etwas kennen gelernt.
Wandern in Deutschlands hohem Norden
Seebad Sellin
  
Heute, am 4. Oktober, sind wir auf die Insel Rügen gefahren. Auch hier herrscht noch sommerliches Wetter. Allerdings sind die touristischen Einrichtungen praktisch alle leer. Deshalb hat es viel Platz. Gestern haben wir erfahren, dass unser Schiff erst am 18.10. Hamburg verlassen wird. Eigentlich war ja die Passage auf  den 14.9. vorgesehen. Diese hat sich immer wieder um einige Tage verschoben, ja sogar soweit, dass wir nun mit einem anderen Schiff fahren als zu Beginn vorgehsehen war. Da wir als kleine Passagierli kein Mitsprachrecht haben und uns voll und ganz nach den Bedürfnissen der Fracht richten müssen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Zeit bis zur Abfahrt mit der Besichtigung von Norddeutschland zu verbringen. Ehrlich; das ist ja auch keine Busse – es gefällt uns nämlich sehr gut.

9.Oktober
Rügen ist der Hammer! Ich möchte niemals im Sommer zur Hochsaison hier sein. Aber jetzt mit wenigen Touristen, bei meistens sonnigem Wetter und im herbstlichen Licht ist es zauberhaft. Noch nie haben wir solche Buchenwälder (UNESCO-Weltkulturerbe!) gesehen – Bäume, welche über 300 Jahre alt. Die Kreidenfelsenküste, die Kaps, die zauberhaften Föhrenwälder in Dünenlandschaft gebettet – sie verleihen uns beim Biken Flügel. Da wird mein Bein gesund und gesünder – sogar den Ab- und Aufstieg von 430 Treppenstufen hat es geschafft. Wir warten also nicht auf die Abfahrt des Schiffes,  sondern geniessen das Dasein und die Zeit auf Rügen.
Übernachten tun wir auf Plätzen, wo’s erlaubt, geduldet oder verboten, respektive strengstens verboten ist. Nach wie vor machen wir uns etwas lustig über Formulierungen und Schilder. Es geht uns wie den Deutschen in der Schweiz: man wundert sich über den andern.
Museen verstehen die Deutschen zu gestalten. Wir sind ja eher Museumsmuffel aber hier schaffen wir es, einige Stunden darin zu verweilen. Es geht meistens um die „Aufarbeitung“ der Zeit zwischen, während und nach dem 2. Weltkrieg. Hier in der ehemaligen DDR natürlich auch um das Leben zu dieser Zeit.  So wurde zwischen den Kriegen in Prora ein Hotel für zirka 100'000 Gäste geplant und grössten Teils errichtet.  Der Gedanke, dass ausgeruhte Arbeiter nach einem Erholungsurlaub besser arbeiten (auch gefügiger sind) gab dem Projekt den Titel „Kraft durch Freude“ = KdF. Es wurden auch Schiffe mit der gleichen Idee gebaut und eine kurze Weile funktionierte das auch. Bis dann erstens das Geld für den Krieg gebraucht und die Leute gar keine Ferien mehr machen konnten. Für Interessierte: http://de.wikipedia.org/wiki/Seebad_Prora .Wir haben uns die Ruinen und die leer und am Verfall stehenden Gebäude und Museum angeschaut und einfach gestaunt. Der Gebäudekomplex  ist länger als die Gemeinde Fehraltorf! Allein der geplante Theatersaal hätte 25'000 Menschen gefasst. Heute ist Prora ein Geisterort – nur das Museum lebt.

Heute käme hier kaum mehr grosse Ferienstimmung auf!



10.10.
Soeben haben wir erfahren, dass das Schiff schon am 14.10. fährt. Nun pressiert's plötzlich. Die Treppe in unser "Wohnzimmer" und die Federung des Bikes müssen repariert werden. Auch müssen wir von Stralsund noch nach Hamburg fahren. Gut, dass uns der Regen von der Insel vertrieben hat, sonst hätten wir's noch fast geschafft, das Schiff zu verpassen! Nun mal los!

Herzliche Grüsse
Brigitte und Lukas

Übrigens; wer mehr Fotos anschauen will, findet diese unter "Fotos" und dem entsprechenden Titel des Blogeintrages (z.B. "Eingewöhnungsphase"). Öffnen mit Rechtsklick.