Samstag, 18. Mai 2013

Pisten, Wüsten, Meere

La Paz – irgendwo auf der miserablen Piste in den Bergen - La Paz - Ciudad Insurgentes – Loreto – Guerrero Negro – ostwärts ans Meer zur Bahìa de Los Angeles – Cataviña – Richtung San Felipe– Mexicali – Tecate - USA



























Ohne blutende Herzen verlassen wir den mit Supermärkten, Hotels, feinen Restaurants und Amis bespickten Süden der Baja California und fahren nord­wärts.
Die Halbinsel bietet zwei Meere: der Golf von Kalifornien ist ruhig, warm und eher sandig; der im Westen liegende Pazifik ist kühl, wild, windig, weniger ge­eignet zum Schwimmen. Wir wechseln mehrmals die Seiten. Dabei lassen wir uns einige herausfordernde Pistenstrecken nicht entgehen. Nicht immer ge­lingt eine Passage – umkehren nach 120 km Hötterli-Dötterli tut schon weh. Dafür verbringen wir die Nächte auf Horstplätzen über dem Meer, mitten in der Wüste, umgeben von Steinhügeln, Kakteen, Kaninchen, Streifenhörnchen und etwas (!) Insekten.

Die Nacht, bevor wir umkehren müssen

Ohne Pistenfahrten sind solche Orte schwer anzutreffen

Stühle raus, Kochen und einfach geniessen
So werden die Stufen an der blödsinnig steilen Piste beim Versuch, von der Ostküste über die Berge zur Panamaricana zu fahren, so hoch, dass wir  ge­zwungen sind, umzukehren. 

Bis zum Ende des sichtbaren Weges fuhren wir, dann mussten wir umkehren
Zudem hat ein Stein das Gehäuse des Differen­zialgetriebes beschädigt. Der Fahrer ist äusserst bekümmert (die Beifahrerin versteht Gott sei Dank nicht viel davon) und kriecht immer wieder unters Auto, um festzustellen, ob und wo immer noch Öl raustropft. 


Reparaturversuch mitten auf der Strasse



Bis er erleichtert ein­steigt und meint: „So lange es tropft, ist es ja nicht so schlimm, denn dann hat es immer noch Öl im Getriebe“.

Autsch, das tut weh
Zurück in La Paz finden wir den uns empfohlenen Automechaniker. Irritiert rei­ben wir uns die Augen, weil dieser auf der Strasse arbeitet, also weder Lift noch gar eine Werkstatt hat. Aber er macht seine Arbeit gut, zügig, sauber und überlässt  – völlig entgegen schweizerischen Autowerkstätten-Gepflogen­heiten – uns die Rechnungsstellung. So können wir die weiteren Pistenfahrten geniessen, auch wenn wir jeweils nicht wissen, ob wir auf dem richtigen Weg sind und ob nach der nächsten Kurve die Bezeichnung „Weg“ noch ange­bracht ist. Zwischendurch fahren wir natürlich auch auf der Panamericana und geniessen das „ruhige Dahingleiten“.

Der Mechaniker darf kurz im hinteren Teil einer Eisenwarenhandlung arbeiten

Als Ölwanne dient eine aufgeschnittene Ölflasche
Wir ändern unsere Vorstellung, „täglich“ zu biken auf „einige Male“.  Es fehlt nicht an lockenden Pisten. Aber mal sind die Temperaturen brutal, mal gibt es zu viel Sand, mal sind wir zu müde, mal ist es überhaupt... .
Nach einer wunderbaren, flachen, aber sandigen Tour starten wir zu einer „Gebirgstour“. Während Lukas in Erinnerung an die gleiche Tour mit Hanspe­ter vor einigen Jahren Flügel bekommt, gebe ich nach wenigen Kilometern auf.

Der Champion
Das ist doch ein Bachbett und kein Weg zum Biken!


Ich stelle das Velo ab und gehe zu Fuss weiter. Ich treffe Lukas ausruhend auf einem grossen Felsbrocken. Die Gegend ist umwerfend, absolut faszinie­rend. Ich verweile mich lange in der Kakteen-Fels-Wüste, während Lukas sich auf dem miserablen Weg weiter austobt und erst gegen Abend, erschöpft, ausgedorrt und strahlend wieder zum Auto zurückkehrt.

Um Cataviña – der Ort liegt praktisch in der Mitte der nördlichen Baja Califor­nia - präsentiert sich die Wüste von ihrer allerschönsten Seite. Das Fahren auf der Panamericana macht hier wirklich Freude. Zwischen schönen Felsfor­mationen wachsen Kakteen in jeder Grösse, Farbe und Art. Mit den dornen­undurchlässigen Wanderschuhen streunen wir durch die Gegend – hier be­komme ich Flügel! So gefällt mir das Betrachten der Natur, ohne auf das Wegrutschen meines Vorderrades achten zu müssen.

Herrliches Herumstägeren 
Viele Dörfer, Siedlungen wirken auf uns hässlich, abstossend, ja beinahe le­bensfeindlich. Überall liegt Müll herum, sind vergammelte Autoabbruchstellen, ausrangierte Geräte. Bauschutt türmt sich zwischen den Häusern.

Verlassen mit allem Grümpel rundherum
Wo Siedlungen verlassen wurden, bleiben die ausgehöhlten Ruinen stehen. Mit dem Land wird umgegangen, als gäbe es davon beliebig viel. Nirgends wird der Kehricht korrekt entsorgt. Kaum geordnete Müllhalden, meistens qualmend, aber immer von nahrungssuchenden Geiern und Hundegangs be­sucht, deuten den Anfang oder das Ende einer Ortschaft an. Oft sind ganze Wagenladungen von Müll neben der Strasse endgelagert, Batterien, Geträn­kedosen und -flaschen, Pampers, Büchsen, Schrott, PneusPneusPneus, alles wird aus dem Auto entsorgt. Der Wind trägt Millionen von Plastiktüten fort, ir­gendwo bleiben sie an einem Gestrüpp, an Kaktusstacheln hängen. Die Hin­weistafeln „kein Abfall fortwerfen“ nützen offenbar weniger als ein Schildchen in einem Gefängnis “Fliehen verboten“. Uns stört die Unordnung, der Müll, die Gleichgültigkeit je länger je mehr –  wir Schweizer können uns absolut nicht daran gewöhnen. Bei uns wird diskutiert, wieviel Millionen die Erhöhung der Rauchgasreinigung von 99,1 auf 99,5 % kosten darf. Wir sind uns aller­dings auch bewusst, dass wir selbst ordentlich viel Müll hinterlassen (wohl werfen wir ihn gewissenhaft in die Kübel, aber wohin gelangt er nach der Ver­arbeitung von Geiern, Hunden und Wind?)

Im Norden der Baja hat es Quadratkilometer grosse Gewächshäuser zur Ge­müseproduktion. Auch Weintrauben werden angebaut, wobei wir Rebberge sehen, die der enormen Trockenheit anheim fielen, aufgegeben wurden. Die Dürre habe Mexiko extrem getroffen. Wasser ist rar; auch Einheimische trin­ken nur filtriertes und aufbereitetes Wasser.

Heute sind wir in Mexicali angekommen und gönnen uns ein Hotel. Die Vor­stadt präsentiert sich wie der Ruf von Mexicali: arm, extrem staubig, grässlich. Ich bin froh, bei 35° im Hotelzimmer ohne Sandfliegen und Schweisstropfen den Blog schreiben zu können. Morgen werden wir noch in Mexiko der Gren­ze entlang nach Tecate fahren und am Montag in die USA einreisen.

Entgegen vieler Erfahrungen und Erzählungen anderer Reisenden bekamen wir in Mexiko weder mit Polizei- noch Militärkontrollen Probleme. Immer wa­ren die Uniformierten freundlich, teilweise verstanden sie auch Spass, nie schikanierten sie uns oder verlangten gar Geld. Auch ausserhalb von Cam­pingplätze fühlten wir uns an den Übernachtungsplätzen wohl und sicher. Hin und wieder wurde beim Wechselgeld geschummelt, aber ein Hinweis genügte und der Rest folgte ohne Diskussion.

Wir grüssen ganz herzlich

 


Brigitte und Lukas


In wenigen Tagen folgen Fotos vom Treffen mit der Familie meiner Schwester .



Auf dem Gabentisch liegt nicht nur Bestelltes; Bernadette verwöhnt uns mit Schweizerköstlichkeiten
Das wunderbare amerikanische Frühstück, zubereitet von Karin und Chris
Den Znacht lassen wir uns im Steakhouse servieren
Alle Wilhelms am Pazifik in Oceanside










Sonntag, 5. Mai 2013

(Mexiko) und Baja California


Oaxaca - Guanajuato - Los Mochis - Kupfercanyon - Los Mochis - La Paz (Mex) - Cabo San Lucas - Todos Santos

Die schmale lange Halbinsel
 Baja California (sprich Bacha
 Galifornia) gehört zu Mexiko
Mexiko ist riesig! So schnell durch-
fahren geht nicht so schnell


























„Der Stammumfang beträgt 46 m, gemäss einer anderen Messung jedoch 68 m.“ Diese Aussage unseres Reiseführers über den weltgrössten Baum lässt mich gedanklich fluchen. Wie wäre es mit einer Nachmessung? Als ich aber vor dem Baum stehe und wieder atmen kann – der 2000 Jahre alte Baum hat mir beim ersten Anblick den Atmen genommen – verstehe ich: Der Stamm ist so unförmig, so unrund, dass eine Messungenauigkeit von 12 Metern durchaus tolerierbar ist. Was die Römer, die Inkas und Mayas vor vielen hundert Jahren bauten, können wir heute als geflickte Ruinen betrachten. Was die Natur vor dieser Zeit wachsen liess, ist heute noch da, wohl mit Zeichen des Alters, aber ohne irgendwelche baumchirurgische Eingriffe.
Miss den Stammumfang!

Ohne grosses Zögern umfahren wir den Moloch Mexiko-Stadt. Die Angaben über die Einwohnerzahl schwanken zwischen 12 und 20 Millionen. Hier wäre das Nachmessen vermutlich noch schwieriger...

Guanajuato aber lassen wir nicht aus. Zu oft schwärmte Brigitte von diesem Ort. Sie besuchte hier vor 8 Jahren Spanischunterricht und erzählt von den farbigen Häusern, dem fröhlichen Leben in der Innenstadt und den vielen Tunnels (ehemalige Silber-Bergwerksstollen). Sie bereitet mich auch auf extrem enge und dito steile Strassen vor.  
Jedes Haus ist mit einer anderen
fröhlichen Farbe gestrichen
Ein grausames Gesöff! Man beachte mein
Poker-Face und das entsetzte Gesicht
des Trompeters!



















Weil der „Campingplatz“ (ohne die phänomenale Aussicht auf die Stadt würde er höchstens von Puristen besucht) von der einen Seite wegen einer Baustelle nicht zugänglich ist, darf ich eine weitere halbe Stunde üben mit „Anfahren am Berg“ und „millimetrlen zwischen Wand und den Aussenrückspiegeln“. Eine Verkehrstafel „max Geschwindigkeit 20 km/h“ löst Heiterkeit aus.
Wir geniessen beide einen herrlichen Abend in der überfüllten Innenstadt. Auf den Plätzen wird getanzt, es hat unzählige Klein- und Kleinst-Restaurnts, Chicas suchen ihre Jäger, Bauchladenverkäufer bieten Kaugummi und Strumpfhalter an, ein Baby schreit, als habe es saure Milch genuckelt, Jugendliche mit auffallendsten Frisuren zeigen ihr Können auf den Inlineskates. Dass ich das bestellte allergarstigste Getränk meines Lebens halb austrank – es hatte auf der Karte einen so schönen Namen und ist wohl ein Gemisch von Bier, Maggisauce und Salz – darf ich als Heldentat abbuchen.


Das Staubfressen auf Guatemalas Pisten mag anstrengend gewesen sein. Das Kilometerfressen in den folgenden zwei Tagen ist aber deutlich strenger, es wird sogar zu einer Belastungsprobe für unsere Ehe. Nach 1200 km kommen wir getrennt von unseren Nerven in Las Mochis an. Wir finden sie auch nicht auf dem staubigen, schattenlosen, lärmigen und völlig überteuerten Stellplatz. Aber wir haben unseren Vorsatz umgesetzt: Mexiko zugunsten anderer Gegenden praktisch auszulassen.

1200 km in 2 Tagen








In Las Mochis wollen wir die Fähre nach der Baja California sowie die Zugsfahrt zum Kupfercañyon buchen. Sind wir noch zu wenig lang in südlichen Ländern, dass wir die hier herrschende Mentalität noch nicht verinnerlicht haben? „Etwas vor Abfahrt herkommen, bezahlen und einsteigen“ heisst es an beiden Verkaufstellen. Tatsächlich ist der Touristenzug für die achtstündige Fahrt bei weitem nicht voll, einer der vielen Zugsbegleiter verkauft im Zug die Billette. Wir geniessen die komfortable Fahrt im klimatisierten Wagen mit offenen Plattformen durch verdorrte Ebenen, dann bergwärts mit unzähligen Kehren und Tunnels bis zum Rand des Cañyons. Auf dem höchsten Punkt verlassen wir den Zug. Und ja: Die Schlucht verdient ihre Berühmheit allerdings: Sie sei dreimal grösser und tiefer als der Gran Cañyon, ist begehbar, ja sogar bewohnt von Indianern. Und wir hauen in die Vollen: Wir „steigen ab“ im schönsten (und teuersten) Hotel direkt am und im Abriss, chartern für den kommenden Tag einen Führer und geniessen einen Panoramablick aus der Seilbahn in den Cañyon – man gönnt sich ja sonst nichts!

Klimatisierte Wagen, aber je am Anfang
und Ende eines Wagens kann man auf
die offene Plattform
Tunnels und Brücken à discretion. Für verwöhnte Schweizer
Bahn-Fans ist die Strecke aber nicht wirklich sensationell








Im Kupfercanyon sei nie Kupfer abgebaut. Er erhielt seinen Namen wegen den
kupferfarbenen Felsen. Im April ist das Wetter garantiert trocken, dafür aber diesig.





















Die Überfahrt nach der Baja California - trotz des Namens und den Horden urlaubender US-Amerikaner immer noch Mexiko – dauert sieben Nachtstunden. Unser Auto ist 35 cm zu lang, um noch als PW taxiert zu werden. Ist es meinen ausgezeichneten Spanischkenntnissen oder meinem Charme zu verdanken, dass ich die Schalterbeamtin überzeugen kann, uns den halb so teuren, also 400 Fr. billigeren „PW mit übermässiger Ladung“-Tarif zu geben?


Vor vier Jahren konnte ich mit einem Freund eine unvergessliche, herrliche dreiwöchige Velo-/Autoreise durch die Baja machen. Auch deshalb freue ich mich auf dieses Gebiet des ewigen Sommers mit viel Meer und guter touristischer Infrastruktur. Die erste Nacht verbringen wir in einem kleinen Ort am Golf von Kalifornien. Innerhalb der letzten vier Jahre hat er sich aber gewaltig verändert: Statt je einem Restaurant hat es jetzt viele, der Campingplatz wich einer pompösen Hotelanlage, die Sandstrassen sind asphaltiert, spanisch sprechen nur noch wenige Fossile (und zwei Schweizertouristen), die Waschmaschine lässt sich ausschliesslich mit US-Münzen füttern, die Stelle eines Ruhebänklis und Kakteen hat ein Immobilienbüro übernommen. Das Dorf hat eindeutig seinen verschlafenen Charme verloren. Aber mein Gesprächspartner schwärmt davon, wie das Dorf gewachsen sei, wie es sich gemausert hat. Ich merke, dieses Dorf ist stellvertretend für die ganze südliche Baja California: In Cabo San Lucas erklärt mir der Fischer-Lehrer, dass er vor 25 Jahren noch jede Person in der Stadt persönlich kannte. Heute hat diese Stadt 175 000 Einwohner...
Leere Strände, für ein Cämperli 1a

Vor 4 Jahren fuhr ich mit einem Freund eine ganztägige Velotour. Ich erinnere mich an starke Hitze,
strenge Aufstiege, sandige Abfahrten, höchsten Erlebniswert. Auch mit Brigitte startete ich beim
ersten Morgenlicht. Aber bereits eine Stunde später purzelte die Hitze die Hänge hinunter und
verscheuchte jedes kühle Meerwindchen unbarmherzig. Wir kürzten die Route ab.

Apropos Fischer-Lehrer: Da ich es satt habe, stundenlang und erfolglos mit der Rute ins Meer hinaus zu zeigen, nehme ich das Angebot eines ehemaligen Fischers an. In seiner Nussschale tanzen wir auf dem Pazifik und vergällen vier prächtigen Fischen das Weitertanzen (um Deinem Vorwurf wegen angewandtem Fischerlatein zuvorzukommen, verzichte ich auf eine Längenangabe). Zurück beim Cämperli komme ich mir vor wie der Gangster nach dem genau geplanten und geglückten Überfall: Er weiss nicht weiter. Was mache ich im Cämperli bei 30° C mit kiloweise unausgenommenen Fischen und einem Gefrierfach, das nur wenig grösser ist als eine Zündholzschachtel? Soviel sei verraten: Wir haben uns tüchtig überessen!
Israel fischte früher allein, jetzt gibt er
seine Kenntnisse an Touris weiter


Jetzt pendeln wir zwischen der West- und Ostküste der Halbinsel hin und her, zwischen dem Pazifik und dem Golf von Kalifornien. Wir gewöhnen uns ans englisch sprechen, an US-Dollar und an eine touristische Infrastruktur. Und geniessen nebst der auf Höchstleistung eingestellten Sonne klimatisierte Einkaufszentren und Restaurants. Und bezahlen dort fast schweizähnliche Preise.

Habt auch eine gute Zeit!

Lukas und Brigitte