Einige Vorurteile zu dieser Region müssen sofort korrigiert werden: Es regnet nicht jeden Tag, der Wind bläst nicht ohne Unterbruch (minutenlange Pausen sind möglich), man muss nicht immer frieren! Allerdings machen die kurzen Hösli Pause.
Feuerland muss verdient werden mit Anstehen am Grenzübergang zu Chile. Die Schalter für die Ausreise aus Argentinien und die Einreise nach Chile sind im gleichen Gebäude untergebracht. Als Schweizer findet man das ganz praktisch und einfach. Zuerst wird man gebeten, ein Zollformular auszufüllen. Dann anzustehen. Dann, nach 45 Minuten, darf man beim Migrationsschalter dieses Papier und die Pässe zeigen und ein weiteres Formular ausfüllen. Das Zollformular könne man direkt bei Schalter Nr. 3 abgeben, was aber nicht die Meinung der Dame am Schalter 3 ist, da der nötige Stempel fehle. Also stehen wir bei der Polizei - Schalter 2 - an und wir bekommen den Ausreisestempel. Der argentinische Zoll will unsere Autopapiere sehen und behält das Auto-Einfuhrformular für sich. Da wir beim Zoll in Buenos Aires die Order bekamen, dieses Papier unter keinen Umständen aus der Hand zu geben, wehre ich mich entsprechend und in brillantem Spanisch. Aber erfolglos; auch auf meine Aufforderung, El Jefe zu konsultieren, ändert nichts daran, dass ich das Papier (und bitte das Original) abgeben muss. Nun kommt der Zoll von Chile, die Migrationspolizei und schlussendlich die Bestätigung, dass wir das Auto nach Chile einführen. Alles ist harte Arbeit – und wir sind doch pensioniert! Nach anderthalb Stunden haben wir den Chrampf vollendet. Aber jetzt folgt die Kontrolle der Lebensmittel: Weder dürfen von Argentinien nach Chile noch umgekehrt Fleisch, Honig, Früchte oder Gemüse eingeführt werden. Für den Camperhaushalt heisst das, die Einkäufe und den Verbrauch immer gut zu planen. Ich bin noch am Lernen, dass Begründungen, dass logisches Argumentieren in dieser Beziehung nichts bringt. Das gipfelt am 23. Dezember an der Grenze zu Chile (innerhalb von Feuerland) darin, dass ich entweder all die feinen Sachen für die Weihnachtsfeiertage dem nicht so flexiblen Zöllner zu schenken oder auf der Stelle zu kochen habe! Der sture Bock soll von mir aus Konserven fressen! Also verkoche ich alle Lebensmittel. Der Salat mit Avocados, Tomaten, 2 kg Orangen und 4 Bananen werden zusammen mit unseren Reisekumpanen sofort verzehrt (was wenig später den WC-Papierverbrauch in die Höhe schnellen lässt). Gut, dass der Gesetzeswächter nicht gemerkt hat, dass ich das Fleisch nur schnell angebraten, aber innen noch roh gelassen habe.
Im Norden von Feuerland sieht’s vorerst mal gleich aus wie im südlichen Festland. Viele Guanakos, viele Gänsepaare, aber neu auch viele Ibis necken unseren Fotoapparat (das Wort „stillhalten“ kennt keines dieser Individuen!).
Der vom Meer angespülte Abfall entlang der Magellanstrasse schockiert uns. Verflucht sei der Plastic, das PET! Das einzige chilenische Städtchen - Porvenir (Zukunft) - ist bescheiden; Geld und Frischwasser zu bekommen also eher schwierig.
Viele der auf der Strassenkarte aufgeführten Ortschaften bestehen nur aus einer Estancia, und auch diese sind häufig bereits verlassen.
Früher waren Estancien autonom organisiert; sie hatten eine eigene Schule, Restaurant, medizinische Hilfe, soziale Kontakte, ja sogar eigenes Geld - ähnlich war es im Norden in den Salpeterabbaugebieten. Die Distanzen zu den Nachbar-Estancien sind enorm und die Pisten oftmals übel. Das ist ein Vorteil für uns: wenige Autos und somit hoher Genuss, in langsamem Tempo die Landschaft zu geniessen. Auch heute werden vorwiegend Schafe gehalten, welche im Dezember geschoren werden. Zu diesem Zweck werden sie von der Weide zur Estancia getrieben – mit Gauchos und Hunden – wie im Bilderbuch!
Das südliche Feuerland beginnt bei Rio Grande, wo früher erfolgreich nach Gold gebuddelt wurde und heute Gas gewonnen wird (2500 km Leitung bis nach Buenos Aires!).
Südwärts bezaubert uns ein Feenwald: die Bäume sind mit langen Flechtengebilden behangen. Von Bibern und Bränden zerstörte Waldflächen und bald auch schneebedeckte Gebirgsketten faszinieren uns. Die Landschaft ist wahnwitzig schön.
Ushuaia - ehemaliger Ort für Gefangene – ist die südlichste Stadt der Welt und das Traumziel (fast) aller Südamerikafahrer. Die Stadt ist wirklich gross und bietet jeden Komfort. Klar, dass die Arnolds sofort auch die beste und originellste Bäckerei finden (sie ist im Führer nicht erwähnt!). Ich werde noch lange vom knusperigen Speckbrot schwärmen!
Der Nationalpark bietet wunderbare Wanderungen, allerdings findet man ähnliches auch ausserhalb des Parkes. Die Möglichkeiten zu wandern, sich in der Natur aufzuhalten, sind praktisch unbegrenzt. Nach drei wunderschönen Tagen kippt das Wetter und es schneit bis fast auf Meereshöhe. Ob das wohl ein Touristen-Gag ist, damit die Nordländer doch noch ein wenig Weihnachtsgefühl bekommen?
Trotzdem haben wir noch vor Heiligabend das Touristenparadies verlassen und sind nordwärts ins Innere des sehr einsamen Feuerlandes gefahren (also wieder einmal ein Grenzübergang... ). Wir feiern Weihnachten zusammen mit dem Franzosenpaar, ganz alleine an einem traumhaften See, mit viel Feuer, einer kleinen Hütte, selbstgemachten Empanadas, Risotto und natürlich Filets. Zum Dessert gibt’s Käse und mit Pfirsichen gefüllte Empanadas (die Französin kocht sehr gut!).
Wir bleiben drei Tage am See, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Leider haben sich auch die scheuen Guanakos aus dem Staub gemacht, an ihrer Stelle sind Vögel gekommen. Direkt über uns segelt ein Kondor. Herrgott ist das schön!
Da ich an der Grenze alles vorgekocht hatte, bleibt mir an den Festtagen kaum Arbeit übrig. Kein Internet, kein Natel - also Freiheit pur!
Eine Begegnung mit einer argentinischen Familie lehrt uns, was Gastfreundschaft heisst. Eine kurze Begrüssung und zehn Minuten Geplauder irgendwo in der Pampa genügen, um uns vier zu einem Asado (Grillfleisch: Schaf, Huhn, Rind, Würste und je nach Gastgeber auch mehr oder weniger appetitliche Innereien) bei ihnen zu Hause einzuladen. Dazu wird die ganze Familie zusammen getrommelt.
Um 22 Uhr gibt’s dann Znacht: Vom Feinsten! Schaffleisch so zart und saftig wie in süssen Träumen, Rindfleisch, auch wenn’s kein Filet ist, perfekt gebraten, wunderbare Würste (die ich bisher im Supermarkt links liegen liess) und Gott sei Dank weder Hirn noch Lunge ... Dann gibt’s Musik und wir tanzen, tauschen gegenseitig Geschenke aus, wobei die Geschenke der Argentinier klar überwiegen. Kurz: der Umweg von 70 km hat sich gelohnt!
Bei dieser Familie handelt es sich nicht um Leute der Oberschicht. Das Ehepaar kocht in einer Schule täglich für 300 Kinder (auch während der Ferien können diese dort eine Mahlzeit erhalten) und verdient zusammen etwa 2250 Fr. Die Preise für Lebensmittel sind – ausser Fleisch – nur wenig günstiger als bei uns.
Wir verlassen einen unserer ersehnten Höhepunkte der Reise und freuen uns, bald Franziska und Christian in Punta Arenas, der südlichsten Stadt auf dem Festland Südamerikas, zu sehen und mit ihnen Silvester zu feiern. Danach werden wir etwa vier Wochen gemeinsam durch Patagonien reisen.
Vorher lockt aber noch der Nationalpark Pali Aike mit seiner vulkanisch aktiven Vergangenheit, den Wandermöglichkeiten zu den bizarren Kratern. Werden wir zu den glücklichen Besuchern gehören, die hier einem Puma begegnen?
Es freut uns, wenn es Euch allen gut geht, Ihr einen genussreichen Rutsch ins neue Jahr feiern könnt und wir Euch gesund im 2012 wiedersehen.
Liebe Grüsse
Brigitte und Lukas
Wer mehr Fotos sehen möchte, findet diese auf dem Fotolink.