Freitag, 22. Juni 2012

Altiplano


Cochabamba-Uyuni-Lagunen-Uyuni-Potosi-Sucre
























Cochabamba zeigt sich als lebhafte Stadt mit Marktständen beidseits der Strasse bis (fast) zur Strassenmitte, so dass das Durchkommen Geduld und Nerven, aber keinen Autolack kostet.
Wir können unser Fahrzeug auf dem Hof vom Hotel Casa Campestre abstellen. Das ist gut so, denn alsbald liegen wir flach: Pfnüsel, Durchfall der Extraklasse, Halsweh und grosse Müdigkeit überfallen uns hinterrücks. Wir loben den ruhigen Hinterhof, die warme Dusche, die Möglichkeit, die Spuren der Magen-Darm-Unpässlichkeit zu waschen... Vom mitbezahlten Frühstücksbüffet bekommen wir wenig mit – der Magen fordert imperativ nach Ruhe. Nach vier Tagen sind wir wieder soweit hergestellt, dass wir den Ausflug zur Gasabfüllstation wagen können. Das Gasvokabular ist uns vom letzten Mal noch geläufig. Nach der Stadtdurchquerung schickt uns die erste Anlaufstelle an eine andere, 30 km entfernte Station. Jänu – was machen wir nicht alles, um Gas zu bekommen. Wir sind noch nicht so in Not wie unsere Franzosenfreunde, die keinen Tropfen mehr haben und seit Wochen erfolglos nach Gas lechzen und betteln. Wo bleibt die Globalisierung bei den Gasanschlüssen? Unsere Flasche wird aufgefüllt, und zwar g r a t u i t o ! Die Flaschen der Franzosen (Campinggas, EU) können nicht aufgefüllt werden. Sie müssen in den sauren, kalten Apfel beissen und ohne Gas weiterfahren. Wir verabschieden uns von ihnen – bien sûr, on se verra en France!






Wir haben es eilig, aufs Altiplano zu kommen und schauen uns deshalb Cochabamba nicht mehr genauer an. Von 2700 auf über 4000 m zu fahren ist ein Erlebnis. Die lange Steigung, d.h. die langsame Fahrt der Autos machen sich die Hunde zu Nutze: Zu Hauf liegen sie auf Futter wartend am Strassenrand – mit treuherzigen Blicken, und mit verschränkten Pfoten hoffen sie auf barmherzige Spenderherzen. Jedes zweite Hundeli würde ich am liebsten mit ins Auto nehmen – sie sind wunderschön! Weil sie so liebevoll betteln können, sind sie nicht abgemagert.
Oben auf dem Altiplano schlägt sie unbarmherzig zu, die Kälte! Obwohl wir raffiniert windgeschützt hinter einem Haus stehen, messen wir um 7 Uhr früh -6° draussen und drinnen 1°. Das Aussuchen der heutigen Garderobe fällt sehr sehr kurz aus. Schnell in die Kleider springen und losfahren, damit das Auto sich und uns aufwärmen kann. (Für Interessierte: Die teure Truma-Dieselheizung funktioniert bis 1500 m, mit dem Höhenzusatz bis 2500 m, darüber würde sie nach kurzem heftigem Rauchen wegen Sauerstoffmangel sterben).



Vor uns liegt das Altiplano mit seiner Weite, begrenzt in der Ferne durch die Fünf- und Sechstausender. Lamas, salzhaltige Lagunen mit Flamingos, Esel und – wenn auch wenige – Kühe bereichern die Zone. Die Äcker werden kaum mit Maschinen bewirtschaftet – fleckenweise werden sie sorgfältigst mit der kurzstieligen Hacke bearbeitet. Das wichtigste Produkt ist Quinoa, eine Hirseart, etwa vergleichbar mit Cuscus. Sie schmeckt kalt als Salat und warm als Beilage wunderbar.
Vor dem Salar de Uyuni verbringen wir die kältemässig grausamste Nacht. Der Rundumblick ist teuer bezahlt: -3.5° wecken uns am Morgen; draussen knochentrockene -14°! Man kann sich ja vorstellen, wie schnell wir angezogen sind und wie wir uns auf den am Abend in die Thermosflasche gefüllten Tee (danke Christian für die Flasche!) stürzen. Das Altiplano ist dünn besiedelt. Umso selbstverständlicher ist es, dass man einander hilft. Da versucht einer ein Rad zu wechseln – ohne Wagenheber eher schwierig ..., der nächste will mitfahren, weil seine Pleuelstange ausgeleiert ist und er in Uyuni eine neue kaufen will. Aber wir Fotoapparat-Touristen sind ihm zu langsam – er wartet auf die nächste Gelegenheit. Bald steht der nächste am Wegrand: Ein Professore, der nach Uyuni mitfahren will, weil sein Auto defekt ist. Er ist ein interessanter Fahrgast, der uns einiges über das Leben im Altiplano erzählen kann. Vor Uyuni verabschieden wir uns von ihm, weil wir jetzt auf den Salar fahren wollen. Wir sind gespannt auf diesen nächsten Höhepunkt der Reise. Vor dem Salar fahren wir am ersten Salzhotel vorbei, also ein Haus, dessen Mauern, Böden, Möbel, ... nur aus Salz gebaut sind.



Der Respekt vor der Kälte in der Nacht und das wunderbare Ambiente des Salzhotel verleiten uns zur Buchung einer Nacht. Man verspricht uns geheizte Räume; aber das Nachtessen nehmen wir eingehüllt in die Winterjacke ein (die bolivianischen Tischnachbarn waren noch zusätzlich in Kappe, Halstuch und Handschuhe eingemummt), das Zimmer hatte am Morgen Eisblumen an den Fenstern, aber das Bett war himmlisch warm.
Somit können wir erholt den neuen Tag beginnen. Zuerst steuern wir das erste, heute nicht mehr betriebene Salzhotel auf dem Salar an. Das Hotel hat schon viele Jahre auf dem Buckel und war einst bestimmt sensationell (immer dem bolivianischen Standard entsprechend) – heute dient es als Museum und als Orientierungspunkt auf dem Salar. Eine riesige weisse Fläche – so gross wie 1/4 der Schweiz - zeigt, wie klein unser Auto und wir sind.

Unser Navigationsgerät will keine Koordinaten erkennen. So hoffen wir, die Isla Incahuasi den Spuren folgend zu finden. Aber davon gibt es viele! Schon beim ersten Anlauf merken wir, dass diese Spuren uns auch falsch leiten können. Nebel auf dem Salar muss ein Alptraum sein. Incahuasi ist eine Insel inmitten des Salars, die mit bis zu 12 m hohen und über 1000 Jahre alten Kakteen bewachsen ist, bewohnt von Vögeln und Viscachas (= Hasenmäuse). Zuoberst gehört ein kleiner Teil der Schweiz – warum sonst hat es eine Tafel, die an den 1. August erinnert?







Vergnügt bummeln wir zwischen den Kakteen herum, bewundern die unendliche Weite und haben den Überblick über die gefährlichen „Ojos“ = Öffnungen, die je nach Saison trockener oder wässeriger sein können und schon manchem Autofahrer das Herausschleppen erleben liessen. Wir sind zur Trockenzeit hier und müssen das kaum befürchten.
Eine weitere kalte Nacht verbringen wir auf dem Salar – wir haben jetzt Übung im Frühinsbettgehen, warm Einpacken, lange Liegen und Hörbuch geniessen. Eine Bettflasche hilft die bereits um 19 Uhr kalten Füsse aufzuwärmen.

Selbstverständlich müssen wir dem Merzli anderntags eine ausgiebige Reinigung vom Salz gönnen. Dabei lernen wir einen Touristenführer kennen, und bereits nach einer Viertelstunde wissen wir, dass wir anderntags mit ihm und seinem Toyota Landcruiser auf die zweitägige Lagunentour gehen werden. Unserem Merzli wollen wir diese Tortour nicht antun und lassen es gut gesichert in Uyuni stehen.



Lagunentour
Auf den ersten paar Dutzend Kilometern meinen wir, diese Tour hätte auch unser Auto gut gemeistert. Aber dann zeigt sich, dass unsere Entscheidung weise war: Auf sandiger, wellblechiger und von Tourenautos malträtierter Piste geht es im kaum besiedelten Gebiet zu den Lagunen. Diese bezaubern mit den je nach Gehalt der Mineralstoffe, der Einstrahlung der Sonne und der Tageszeit verschiedenen Farben. Flamingos stochern mit ihren Schnäbeln in den Algen, elegant stolzierend auf ihren Steckenbeinen.
Andere Lagunen sind so arm an Nährstoffen, dass keine Tiere zu beobachten sind. Dafür wirken die weissen Boraxränder bezaubernd. Alle Salzseen liegen um oder gar über 4000m. Höhepunkt ist die Laguna Colorada: In allen Farben präsentiert sie sich mit einem enormen Bestand an verschiedenen Flamingoarten. Kupferhaltige Mineralien, das Algengrün, die Boraxinseln ergeben zusammen mit dem Blau des Himmels eine einmalige Szenerie.








Wir schlafen auf 4300m – unser Doppelbett besteht aus einem Betonblock mit einer Matratze darauf. Die Toiletten befinden sich ziemlich weit weg, das Licht stirbt um 21 Uhr – und die Schweizer haben die Stirnlampe nicht


dabei! Gut, dass ich mich beim Trinken einschränkte! Auch hier wird inWintermontour das Nachtessen eingenommen und weil’s so arschkalt ist, muss man schon vor 20 Uhr ins Bett – um 05:30 müssen wir ja bereits wieder stramm stehen.
Auch am frühen Morgen gibt es kein Licht. Mit Tasten finden wir Unterhosen und Pullover, können alles in die Tasche stopfen und schnell ins kalte Auto hüpfen. Auf 4900 m liegen die Geysire mit dem wunderschönen Namen Sol de Mañana. Es dampft und pfeifft aus allen Löchern – der Gestank verrät, dass wir wirklich bei Geysiren sind.
Es ist noch dunkel, der Wind ist hellwach (4900m!): zum Verbleiben gelüstet es niemanden. Wir sind erstaunt, wieviele Touristenautos (oftmals zu siebt plus Chauffeur in einem Toyota Landcruiser!) unterwegs sind. Wir geniessen die Fahrt in den erwachenden Tag, langsam die Konturen der Berge erkennend und schlussendlich bei kräftigem Sonnenschein bei den Termas de Chalviri anzukommen. Was für ein Genuss, den Morgen in einem knapp 40° warmen Teich fortzusetzen! Die Laguna Verde – bewacht durch den Vulkan Licancabur zeigt sich am Vormittag nicht in der Farbenpracht, wie sie um die Mittagszeit zu sein verspricht. Erst wenn die Sonneneinstrahlung einen gewissen Winkel hat, kommt das mit Blei, Kalzium und Schwefel verbundene Plankton schimmernd grün zu Geltung. So ist es, wenn man mit einer Tour unterwegs ist: ein beliebig langes Verweilen gibt es nicht – die Zeit drängt; der Führer will ja um 17 Uhr wieder in Uyuni sein.





Dort packen wir das Auto und fahren noch ein Stück Richtung Potosi. 20 km Baupiste sind das letzte noch nicht alsfaltierte Stück auf dieser Strecke.
Auf eine nochmals kalte Nacht folgt ein Morgen, der einfach nicht warm werden will. Das Thermometer bleibt bei -8°, obwohl die Sonne schon recht hoch steht. Erst um 11 Uhr sind die Temperaturen so, dass Mann ans Wandern denken kann. Ein Hügel fordert Lukas heraus. Dieser ist aber höher und steiler als auf den ersten Blick angenommen. Nach 2/3 kehrt Lukas zurück, zufrieden, sich wieder einmal so richtig bewegt zu haben, und dank den knapp 4000 müM keucht er noch lange.
Über viele Hügel, Kurven, Schluchten erreichen wir das auf über 4000 m hoch liegende Potosì. Wo können wir unseren Merzli in den engen Gassen stehen lassen? Die rechtwinkligen Einbahngassen lassen jeden Autofahrer und vor allem die Microbusse – keiner will bei den Kreuzungen abbremsen - dauernd hupen. Wir werden unangenehm von hinten gehetzt, so schnell wie möglich eine Entscheidung unserer Weiterfahrt zu treffen. Alle Hotels, die wir anfahren, verfügen nicht über einen Platz fürs Merzli. Die Gassen sind viel zu schmal, um ein Auto parkieren zu lassen. Im Vielstern-Hotel gibt es eine halbe Möglichkeit: tasüber parkt das Auto vor dem Eingang auf dem Trottoir (ein Auto mehr, wegen dem die vielen Fussgänger auf die Strasse ausweichen müssen), nachts können wir auf der abschliessbaren Garageabfahrt stehen – die Garage selbst ist zu niedrig. Bedingung: Wir schlafen im Hotel und lassen den Luxus über uns ergehen!
Eine Stadtführung zu Fuss mit einer jungen, sozialistisch eingestellten Frau führt uns den damaligen Reichtum der Europäer vor Augen. Da haben die katholische Kirche und verschiedene europäische Staaten arg gewütet: Indigene mussten in den Minen arbeiten, schwarze Sklaven beim Bau der Patrizierhäuser und monumentalen Kirchen schuften. Sowohl Indigene wie auch die schwarzen Sklaven bezahlten die Schufterei nach wenigen Jahren mit ihrem Leben. Das ist ein rabenschwarzes Kapitel der Kolonialgeschichte. Der Silberberg wurde komplett ausgeplündert, ohne dass Bolivien einen Profit davon hatte. Heute wird vor allem Zink und Zinn abgebaut, welches in wenigen Jahren ebenfalls ausgegangen sein wird.
Wir bestaunen die wunderbaren Tore mit den in Stein gemeisselten Verzierungen und Familienwappen. Die Eingänge der Kirchen sind so reich und üppig verziert, dass ich nicht umhin komme, einen Groll der damaligen katholischen Kirche gegenüber zu hegen – hatten doch die Arbeiter damals kaum eine Hütte zum Wohnen, mussten in der klirrenden Kälte ohne Heiz- und Brennstoff auskommen, hatten keine ausreichende Nahrung.. Damals gab's weder Kran noch Lift: Jeder Stein musste mühsamst über Leitern nach oben geschleppt werden – was für ein Unsinn, so den Glauben verbreiten zu wollen!
Diese Stadt berührt und geht unter die Haut. Lukas besucht anderntags die Minen – vielleicht berichtet er das nächste Mal davon.
Nach zwei Nächten im Hotel freuen wir uns gewaltig aufs Übernachten im Merzli. Wir ersehnen den Abstieg nach Sucre, wo wir uns auf mickrigen 2800m bestimmt wohler fühlen werden. Die Strassen, respektive das Gelände Boliviens bieten ein stetes Rauf und Runter. Steil ist es allerdings nie – die alten Lastwagen können gar keine steilen Strecken fahren: zu schwache Motoren, zu schwache Bremsen!
Und wie verhielt sich unser elektronikgespicktes Auto auf der Höhe? Wir waren sehr vorsichtig beim Tanken (Dieselqualität) und fuhren immer recht hochtourig. Ausser dem dauernden Warnblinken „sofort Fachwerkstatt aufsuchen“ ist alles tadellos. Und wir tun einfach so, als hätten wir diese Warnung nicht gesehen...
In Boliviens Hauptstadt Sucre finden wir einen wunderschönen Standplatz. Da werden wir eine längere Zeit bleiben. Lukas wird nächste Woche für wenige Tage in die Schweiz fliegen, um dringende Angelegenheiten zu erledigen - leider nicht, um Leute zu besuchen. Ich werde in dieser Zeit Spanischkurse besuchen und das lebendige Sucre geniessen.

Wir grüssen herzlich

Brigitte und Lukas

2 Kommentare:

  1. Lamas sind super!Extrem jö!
    Ich kann mir hier die riesige Salzmenge gar nicht vorstellen!
    regu

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  2. Hallo Zusammen
    Vielen Dank für den tollen Bericht. Ich staune immer wieder was es alles gibt, wusste gar nicht, dass es in dieser Höhe sovile Salz gibt. Liebe Grüsse Rita

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