Freitag, 30. Dezember 2011

Feuerland


Rio Gallegos - Porvenir - Rio Grande - Ushuaia - Laguna Blanca



Einige Vorurteile zu dieser Region müssen sofort korrigiert werden: Es regnet nicht jeden Tag, der Wind bläst nicht ohne Unterbruch (minutenlange Pausen sind möglich), man muss nicht immer frieren! Allerdings machen die kurzen Hösli Pause.
                                    
Feuerland muss verdient werden mit Anstehen am Grenzübergang zu Chile. Die Schalter für die Ausreise aus Argentinien und die Einreise nach Chile sind im gleichen Gebäude untergebracht. Als Schweizer findet man das ganz praktisch und einfach. Zuerst wird man gebeten, ein Zollformular auszufüllen. Dann anzustehen. Dann, nach 45 Minuten, darf man beim Migrationsschalter dieses Papier und die Pässe zeigen und ein weiteres Formular ausfüllen. Das Zollformular könne man direkt bei Schalter Nr. 3 abgeben, was aber nicht die Meinung der Dame am Schalter 3 ist, da der nötige Stempel fehle. Also stehen wir bei der Polizei - Schalter 2 - an und wir bekommen den Ausreisestempel. Der argentinische Zoll will unsere Autopapiere sehen und behält das Auto-Einfuhrformular für sich. Da wir beim Zoll in Buenos Aires die Order bekamen, dieses Papier unter keinen Umständen aus der Hand zu geben, wehre ich mich entsprechend und in brillantem Spanisch. Aber erfolglos; auch auf meine Aufforderung, El Jefe zu konsultieren, ändert nichts daran, dass ich das Papier (und bitte das Original) abgeben muss. Nun kommt der Zoll von Chile, die Migrationspolizei und schlussendlich die Bestätigung, dass wir das Auto nach Chile einführen. Alles ist harte Arbeit – und wir sind doch pensioniert! Nach anderthalb Stunden haben wir den Chrampf vollendet. Aber jetzt folgt die Kontrolle der Lebensmittel: Weder dürfen von Argentinien nach Chile noch umgekehrt Fleisch, Honig, Früchte oder Gemüse eingeführt werden. Für den Camperhaushalt heisst das, die Einkäufe und den Verbrauch immer gut zu planen. Ich bin noch am Lernen, dass Begründungen, dass logisches Argumentieren in dieser Beziehung nichts bringt. Das gipfelt am 23. Dezember an der Grenze zu Chile (innerhalb von Feuerland) darin, dass ich entweder all die feinen Sachen für die Weihnachtsfeiertage dem nicht so flexiblen Zöllner zu schenken oder auf der Stelle zu kochen habe! Der sture Bock soll von mir aus  Konserven fressen! Also verkoche ich alle Lebensmittel. Der Salat mit Avocados, Tomaten, 2 kg Orangen und 4 Bananen werden zusammen mit unseren Reisekumpanen sofort verzehrt (was wenig später den WC-Papierverbrauch in die Höhe schnellen lässt). Gut, dass der Gesetzeswächter nicht gemerkt hat, dass ich das Fleisch nur schnell angebraten, aber innen noch roh gelassen habe.
                                                                        

Im Norden von Feuerland sieht’s vorerst mal gleich aus wie im südlichen Festland. Viele Guanakos, viele Gänsepaare, aber neu auch viele Ibis necken unseren Fotoapparat (das Wort „stillhalten“ kennt keines dieser Individuen!).
                                                                       
Der vom Meer  angespülte Abfall entlang der Magellanstrasse schockiert uns. Verflucht sei der Plastic, das PET! Das einzige chilenische Städtchen - Porvenir (Zukunft) - ist bescheiden; Geld und Frischwasser zu bekommen also eher schwierig.
Viele der auf der Strassenkarte  aufgeführten Ortschaften bestehen  nur aus einer Estancia, und auch diese sind häufig bereits verlassen.                                                                
Früher waren Estancien autonom organisiert; sie hatten eine eigene Schule, Restaurant, medizinische Hilfe, soziale Kontakte, ja sogar eigenes Geld - ähnlich war es im Norden in den Salpeterabbaugebieten.  Die Distanzen zu den Nachbar-Estancien sind enorm und die Pisten oftmals übel. Das ist ein Vorteil für uns: wenige Autos und somit hoher Genuss, in langsamem Tempo die Landschaft zu geniessen. Auch heute werden vorwiegend Schafe gehalten, welche im Dezember geschoren werden. Zu diesem Zweck werden sie von der Weide zur Estancia getrieben – mit Gauchos und Hunden – wie im Bilderbuch!
                                                            
Das südliche Feuerland beginnt bei Rio Grande, wo früher erfolgreich nach Gold gebuddelt wurde und heute Gas gewonnen wird (2500 km Leitung bis nach Buenos Aires!).
Südwärts bezaubert uns ein Feenwald: die Bäume sind mit langen Flechtengebilden behangen. Von Bibern und Bränden zerstörte Waldflächen und bald auch schneebedeckte Gebirgsketten faszinieren uns. Die Landschaft ist wahnwitzig schön.
                                                            
Ushuaia  - ehemaliger Ort für Gefangene – ist die südlichste Stadt der Welt und das Traumziel (fast) aller  Südamerikafahrer. Die Stadt ist wirklich gross und bietet jeden Komfort. Klar, dass die Arnolds sofort auch die beste und originellste Bäckerei finden (sie ist im Führer nicht erwähnt!). Ich werde noch lange vom knusperigen Speckbrot schwärmen!
                                                            
Der Nationalpark bietet wunderbare Wanderungen, allerdings findet man ähnliches  auch ausserhalb des Parkes. Die Möglichkeiten zu wandern, sich in der Natur aufzuhalten, sind praktisch unbegrenzt. Nach drei wunderschönen Tagen kippt das Wetter und es schneit bis fast auf Meereshöhe. Ob das wohl ein Touristen-Gag ist,  damit die Nordländer doch noch ein wenig Weihnachtsgefühl bekommen?
                                                                                             
Trotzdem haben wir noch vor Heiligabend das Touristenparadies verlassen und sind nordwärts ins Innere des sehr einsamen Feuerlandes gefahren (also wieder einmal ein Grenzübergang... ). Wir feiern Weihnachten zusammen mit dem Franzosenpaar, ganz alleine an einem traumhaften See, mit viel Feuer, einer kleinen Hütte, selbstgemachten Empanadas, Risotto und natürlich Filets. Zum Dessert gibt’s Käse und mit Pfirsichen gefüllte Empanadas (die Französin kocht sehr gut!).
                                                            
Wir bleiben drei Tage am See, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Leider haben sich auch die scheuen Guanakos aus dem Staub gemacht, an ihrer Stelle sind Vögel gekommen. Direkt über uns segelt ein Kondor. Herrgott ist das schön!
Da ich an der Grenze alles vorgekocht hatte, bleibt mir an den Festtagen kaum Arbeit übrig. Kein Internet, kein Natel - also Freiheit pur!
                                                                                    
Eine Begegnung mit einer argentinischen Familie lehrt uns, was Gastfreundschaft heisst. Eine kurze Begrüssung und zehn Minuten Geplauder irgendwo in der Pampa genügen, um uns vier zu einem Asado (Grillfleisch: Schaf, Huhn, Rind, Würste und je nach Gastgeber auch mehr oder weniger appetitliche Innereien) bei ihnen zu Hause einzuladen. Dazu wird die ganze Familie zusammen getrommelt.
                                                            
Um 22 Uhr gibt’s dann Znacht: Vom Feinsten! Schaffleisch so zart und saftig wie in süssen Träumen, Rindfleisch, auch wenn’s kein Filet ist, perfekt gebraten, wunderbare Würste (die ich bisher im Supermarkt links liegen liess) und Gott sei Dank weder Hirn noch Lunge ... Dann gibt’s Musik und wir tanzen,  tauschen gegenseitig Geschenke aus, wobei die Geschenke der Argentinier klar überwiegen. Kurz: der Umweg von 70 km hat sich gelohnt!
Bei dieser Familie handelt es sich nicht um Leute der Oberschicht. Das Ehepaar kocht in einer Schule täglich für 300 Kinder (auch während der Ferien können diese dort eine Mahlzeit erhalten) und verdient zusammen etwa 2250 Fr. Die Preise für Lebensmittel sind – ausser Fleisch – nur wenig günstiger als bei uns.
                                                                       
Wir verlassen einen unserer ersehnten Höhepunkte der Reise und freuen uns, bald Franziska und Christian in Punta Arenas, der südlichsten Stadt auf dem Festland Südamerikas, zu sehen und mit ihnen Silvester zu feiern. Danach werden wir etwa vier Wochen gemeinsam durch Patagonien reisen.
Vorher lockt aber noch der Nationalpark Pali Aike mit seiner vulkanisch aktiven Vergangenheit, den Wandermöglichkeiten zu den bizarren Kratern. Werden wir zu den glücklichen Besuchern gehören, die hier einem Puma begegnen?
                                                                        

Es freut uns, wenn es Euch allen gut geht, Ihr einen genussreichen Rutsch ins neue Jahr feiern könnt und wir Euch gesund im 2012 wiedersehen.

Liebe Grüsse
Brigitte und Lukas

Wer mehr Fotos sehen möchte, findet diese auf dem Fotolink.





8 Kommentare:

  1. Das gibts ja nicht! Da beschäftige ich mich eine Zeit lang etwas mehr mit meinen Tagesaktualitäten als mit luaksbrigitte und schwups, schon sind 2 ungelesene Berichte upgeloadet :)! Toll!! Es freut mich für euch, dass Ihr in den Genuss von einheimischer Gastfreundschaft kommt - das sind die Begegnungen, die man nie wieder vergessen wird. Und die vielen Glückstreffer die Ihr macht - Schpäckbrötli, Ansammlungen von Seeviechern und wunderschöne Naturschauspiele, soooo schöön!! Ich möchte gerne von euch wissen: habt ihr für jedes Land einen separaten Reiseführer oder gibts einen für die ganze Reise? und wenn ja.. wie dick ist der denn????

    Ich grüsse euch ganz herzlich (noch) aus der Schweiz (bald bin ich Down Under). Steffi

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  2. Hallo zusammen

    Rind und Schaf vom Grill, da krieg ich doch gleich am Morgen früh schon wieder Hunger ;) Herzlichen Dank für den Einblick in Euer ruhiges Pensioniertenleben!! Wir sind gespannt auf weitere Berichte und wünschen Euch auf der (fast) anderen Seite dieser Kugel einen guten Rutsch in ein (ent-)spannendes und interessantes 2012!! In Gedanken reisen wir mit Euch mit - insbesondere wenn es Fleisch vom Grill gibt ;)

    Herzliche Grüsse und alles Gute
    s'Wilhelm aus Eiken

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  3. Liebes Gotti, lieber Lukas!

    Wir finden es sehr interresant, was ihr alles erlebt. Vielen Dank, dass ihr uns an Eurer tollen Reise teilhaben lässt. Wir wünschen Euch weiterhin viel Spass und schöne Momente!

    Auch wir wünschen Euch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

    Liebe Grüsse
    Marion & Erwin

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  4. Hoi ihr Lieben
    Am heutugen, regnerischen Bärzelistag (2.1.2012) habe ich mit Interesse Euren Blogg gelesen und die Bilder angeschaut.

    Einfach toll, super was Ihr macht und erlebt.

    Ich konnte nachfühlen wo Lukas schreibt "ein Kondor schwebt hoch über uns, Herrgott ist das schön". Wie recht er hat. Auch Deutschland (Rügen) war mir ein Begriff. Toll auch die Schiffsreise. Äquatortaufe hatte ich auch mal gemacht. Und die überwältigende Gastfreundschaft der Leute. Das ist doch einfach toll.

    Ich werde weiterhin Euren Blogg verfolgen, um mit Interesse zu vernehmen wies Euch auf der grossen Reise ergeht.

    Nun wünsche ich Euch weiterhin alles Gute, viel Freude, und viele interessanten Erlebnissen.

    Lasst es Euch gut gehen und "passed uf"
    LG
    Martin Wernli, Tisliacher, Fehraltorf

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  5. Ich habe genug gaps gemindet und bin wieder zu Hause ;-)
    Ich kann mich noch sehr gut an Punta Arenas erinnern, vor allem an die Gesöffe Pap, Kem, KemXtreme und Bilz. Eines schlimmer als das andere, aber wenn ihr euch gruseln wollt...
    Das Foto mit dem Gaucho und den Schafen ist super gelungen!!
    Isabelle

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  6. Wow!!! Ich möchte unbedingt solche Samen von dem Indianer Brot- Baum!!! Also falls ihr welche am Boden oder Baum findet- bitte bringt sie mir mit (oder gebt sie Frust mit!
    Ich bin gerade in der Schule und habe Mittagspause. So kann ichetwas in dei Ferne schweifen, wenn ich Euer Blogg lese. Wunderbar!!!
    Kusskuss
    regula

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  7. PS: wenn wir gerade bei der Mitbring-Wunschliste sind: Ich hätte sooo gern einen solchen Pinguinkrug! :-)

    Isabelle

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  8. Einfach herrlich eurer Blog! Danke und ä guets Nois.

    Urban

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